DATEV-Jahrespressekonferenz 2020

Dr. Robert Mayr, Vorsitzender des Vorstands, DATEV eG

Rede anlässlich der DATEV-Jahrespressekonferenz 2020
Nürnberg, 10. Juli 2020

(es gilt das gesprochene Wort)

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Guten Morgen, ich begrüße Sie alle herzlich aus dem DATEV IT-Campus in Nürnberg. Natürlich wäre es mir lieber, wenn ich Sie zu unserer Jahrespressekonferenz wieder persönlich begrüßen könnte. Doch Corona erfordert ja überall ein Umdenken und führt zu einer verstärkten Hinwendung zu digitalen Ansätzen. So auch hier und heute bei unserer Pressekonferenz.

Wir geben Ihnen heute im Rahmen unserer virtuellen Pressekonferenz ein Update zu den Entwicklungen bei uns im Haus – angesichts der Themen, die uns im Moment sicher alle beschäftigen, mit einem starken Fokus auf die Corona-bedingten Entwicklungen bei DATEV, in unserer Mitgliedschaft und bei unseren Kunden. Das Konjunkturpaket ist dabei natürlich ein wichtiges Thema, auf das ich intensiver eingehen werde.

Wir gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft, ja die globale Wirtschaft, die Auswirkungen der Corona-Krise noch lange spüren werden. Doch gleichzeitig liefert uns Corona auf anderen Feldern wichtige, positive Impulse. Daher werde ich heute ebenfalls verstärkt auf Themen wie Digitalisierung in den Kanzleien und in den mittelständischen Betrieben sowie die Rolle der Steuerberater in der Krise eingehen.

Zu den wirtschaftlichen Eckdaten unseres Geschäfts im vergangenen Jahr sowie im ersten Halbjahr 2020 wird Ihnen Diana Windmeißer nach meinem Vortrag ein Update geben. Eines kann ich bereits vorwegnehmen: Eine Prognose für das zweite Halbjahr werden wir heute nicht abgeben angesichts der vielen Unsicherheiten, die mit Corona einhergehen.

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Um zunächst einmal den Rahmen auszuloten, in dem wir uns aktuell gesamtwirtschaftlich bewegen, zeige ich Ihnen ein paar Ergebnisse und Entwicklungen aus unserem Corona-Barometer. Kurz nach Beschluss des Lockdown haben wir zum 27. März eine regelmäßige Befragung unserer Mitglieder gestartet. Dieses Corona-Barometer ist quasi ein Seismograph für die Auswirkungen der staatlichen Maßnahmen auf unsere Mitglieder und die mittelständische Wirtschaft. Denn wer, wenn nicht die steuerlichen Berater, haben Einblick in die wirtschaftliche Situation ihrer Mandanten und damit der mittelständischen Wirtschaft.

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Die Ergebnisse zeigen uns grundsätzlich: Trotz Lockdown haben unsere Mitglieder in ihren Kanzleien nur geringfügige Einbußen bei der eigenen Leistungsfähigkeit verspürt und konnten ihre Mandanten in der Krise wirkungsvoll beraten. So bewegte sich die Einschätzung der Kanzleien zu ihrer Leistungsfähigkeit über alle 6 Befragungswellen hinweg zwischen 84 und 90 Prozent.

Deutlich bedrohlicher sieht die Situation bei den Mandanten aus. Zwar hat sich im Laufe der Wochen das Bild gebessert, doch die aktuellen Zahlen sind weiterhin kein Anlass zur Beruhigung. 22 Prozent der Mandanten sind nach wie vor grundsätzlich existenzgefährdet, unter Einbezug der staatlichen Hilfeleistungen sind es noch 4 Prozent. Dabei war vor allem der Beginn der Lockerungen ein Punkt, der sich bemerkbar gemacht hat.

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Und auch mit Blick nach vorne sind die Steuerberater bei einigen ihrer Mandanten skeptisch – trotz des Konjunkturpakets, dass zum 1.7. in Kraft getreten ist. 38 Prozent der Kanzleien halten weitere Insolvenzen aus ihrem Mandantenstamm in den nächsten sechs Monaten für wahrscheinlich. Genauso viele Kanzleien sind aber auch optimistisch, dass ihr Mandantenstamm in den nächsten sechs Monaten von Insolvenzen verschont bleibt.

Mit dem Konjunkturpaket hat die Bundesregierung jüngst eine weitere, gebündelte und sehr umfangreiche Reaktion auf die beispiellosen wirtschaftlichen Herausforderungen durch die Corona-Krise geliefert. Es setzt an vielen richtigen Stellen an: Stärkung der Nachfrage, Investitionsanreize, öffentliche Investitionen in Zukunftsthemen. Ich bin überzeugt, dass das Konjunkturpaket einen positiven Impuls für den Wiederanlauf der Wirtschaft bringen wird.

Ein Teil des Pakets sind die vorübergehenden Umsatzsteuersenkungen. Diese wirken unmittelbar und sind geeignet, die Nachfrage kurzfristig anzuschieben. Auch die zeitliche Befristung ist dabei ein wichtiger Aspekt: Das Vorziehen größerer Anschaffungen oder zusätzlicher Investitionen wird finanziell belohnt. Das Vertrauen der Verbraucher in die Wirtschaft ist in der Krise stark eingebrochen. Die Steuersenkung setzt dem einen Konsumimpuls entgegen.

Natürlich war der Vorbereitungszeitraum für die vorübergehende Senkung der Umsatzsteuersätze extrem kurz und die Umstellung verursacht erhebliche Kosten. Auch für uns war die rechtzeitige Umsetzung der notwendigen Maßnahmen in unseren Kontenrahmen, Aufbereitungslogiken und Auswertungen bis hin zur Umsatzsteuer-Voranmeldung eine extreme, so noch nicht dagewesene Herausforderung. Die notwendigen Programmversionen haben wir am 30.06. erfolgreich zur Verfügung gestellt. Pünktlich zum 1.7. konnten unsere Kunden somit ihre Belege mit den neuen Mehrwertsteuersätzen buchen.

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Auch die Überbrückungshilfen für mittelständische Unternehmen begrüße ich als größte finanzielle Einzelspritze des Konjunkturpakets sehr. Damit wird das Rückgrat der deutschen Wirtschaft gestärkt. Dass Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer bei der Antragstellung zu diesem neuen Fördermittel erstmals verpflichtend integriert werden, ist eine große Herausforderung für den Berufsstand. Viele Fragen der Umsetzung waren bis zuletzt offen. Und neben dem Zeitdruck hat auch das föderalistische Prinzip mit bis zu 16 verschiedenen Fördermittelwegen die Unterstützung bei der Umsetzung nicht einfach gemacht. Übrigens auch nicht bei den Betreibern der Fördermittelportale. Dennoch glauben wir, dass die Einführung der Compliance-Rolle des Steuerberaters im Fördermittelprozess ein wichtiger Schritt war und helfen wird, einige negative Erfahrungen mit den ersten Fördermittelpaketen zu vermeiden.

Unterm Strich muss man trotz der pragmatischen und krisenbedingt kurzfristigen Herangehensweise die mittel- und langfristigen Chancen sehen, die sich für den Berufsstand eröffnen. Schon immer hat der Steuerberater die Rolle eines Organs der Steuerrechtspflege inne: Dabei ist er neben seiner Compliance-Rolle auch Berater der mittelständischen Unternehmen. In einer Krisensituation mit einem solchen historischen Ausmaß schätzen nicht nur die Unternehmen den Steuerberater als starken Partner an ihrer Seite. Auch die Politik und die Öffentlichkeit werden erkennen, was der Berufsstand in der Lage ist zu leisten. Und dass er vor allem die ihm nun zugedachte Compliance-Rolle bei der Überbrückungshilfe auch bewältigen kann. Das kann und wird seine Bedeutung für die mittelständische Wirtschaft untermauern.

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Wie Sie erkennen konnten, stellt auch uns die Umsetzung der Maßnahmen aus dem Konjunkturpaket vor enorme Herausforderungen – zeitlich und auch, was den Aufwand betrifft. Mit Blick allein auf die Buchführung werden sich die Änderungen der Umsatzsteuersätze von der Buchung über die Umsatzsteuervoranmeldung bis in die Umsatzsteuerjahreserklärung und den Jahresabschluss durchziehen. Sie werden über die Rechnungswesen- und Steuer-Programme hinaus Auswirkungen z. B. auch in den Kanzleimanagementprogrammen haben.

Wir haben uns zunächst auf die bereits erläuterten, akuten Themen „Senkung der Umsatzsteuer-Sätze“ und „Corona-Überbrückungshilfe“ fokussiert, die beide zum 1.7.2020 wirksam geworden sind. Mit einem Sonder-Patch zum 30.6. haben wir die Lösungen fristgerecht ausgerollt. Weitere funktionale Ergänzungen werden zeitnah folgen. Die Herausforderungen in dieser Situation sind der zeitliche Rahmen, der Umfang der Maßnahmen sowie die geänderten Arbeitsbedingungen, unter denen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Maßnahmen in Software, Dienstleistungen und Services umsetzen. Ja, wir sind es gewohnt, Gesetzesänderungen regelmäßig in Software zu übersetzen. Beispielsweise zum Jahreswechsel immer wieder die Änderungen beim Lohn. Doch beim Konjunkturpaket sprechen wir von einem Gesetz, das bereits zwei Tage nach Verabschiedung in Kraft getreten ist und einen Vorlauf im parlamentarischen Prozess von wenigen Wochen hatte! Um unter diesen Bedingungen zu arbeiten, braucht es eine sehr gute und enge Zusammenarbeit mit den berufsständischen Organisationen, dem Gesetzgeber, den Behörden und den anderen relevanten Realisierungs- und Schnittstellenpartnern. Es mussten parallel zum Gesetzgebungsverfahren bereits etliche Ausführungsbestimmungen und Umsetzungsdetails geklärt werden. Ich möchte das hier nicht unerwähnt lassen: Das hat erfreulich gut funktioniert.

Als Softwarehersteller waren wir in dieser Zeit extrem gefordert, schon parallel zu den Klärungsprozessen in die Übersetzung der Rechtsvorgaben in die Software einzusteigen. Dabei mussten wir erstmal mit Annahmen arbeiten und Abhängigkeiten prüfen. So konnten wir nach und nach Unsicherheiten beseitigen - und letztlich innerhalb eines sehr knappen Zeitrahmens eine rechtskonforme Software erarbeiten. Alles in allem reden wir allein für die Umsetzung der Umsatzsteuer über etliche Personenjahre an Arbeitszeit, die in den wenigen Wochen geleistet werden musste.

Parallel zur Anpassung unserer Software haben wir schon seit Beginn des Shutdowns auch ein umfassendes Informationsangebot für unsere Mitglieder und deren Mandanten aufgebaut, dass laufend aktualisiert wird. Dazu zählt zum Beispiel ein Infopool im Internet, der inzwischen mehr als eine Million Mal aufgerufen wurde. Dazu zählen aber auch Community-Plattformen für die gegenseitige Hilfestellung und Notfallkontakte und –teams der DATEV, die mit Rat und Tat zur Seite standen und stehen. Mitte April haben wir auch eine Corona-Fördermittel-App auf den Markt gebracht. Mitglieder können hier Informationen zu den vielfältigen Förder- und Hilfsmaßnahmen recherchieren. Das Angebot wurde sehr gut angenommen: Bis dato haben wir über 19.000 Aufrufe verzeichnet.

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Für uns als Genossenschaft war und ist es gerade wichtig, dass unsere Mitglieder den Geist der Gründung der DATEV als Selbsthilfeorganisation auch in dieser Situation wieder spüren: „Was einer alleine nicht schafft, können viele gemeinsam“.

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Corona hat uns schmerzlich vor Augen geführt, wo die Defizite bei der Digitalisierung der Wirtschaft liegen – und welche Potenziale sie auf der anderen Seite freilegt. Dabei ist vor allem deutlich geworden, dass die technische Ausstattung nur bedingt weiterhilft, wenn wir nicht grundsätzlich durchgängige digitale Prozesse haben. Deshalb hat Corona einen Trend verstärkt, der auch vorher schon deutlich zu beobachten war. Schon in unserer Befragung von 1000 Handwerkern vor Corona zeigte sich, dass etwa jeder fünfte Betrieb durchgängig digitale Prozesse anstrebt. Die Betriebe, die beispielsweise nur noch mit digitalisierten Belegen arbeiten, haben in der Zeit des Shutdowns Vorteile gegenüber denen gehabt, die noch nicht so weit sind. Denn sie waren nicht nur besser und schneller im Homeoffice einsatzfähig, sondern hatten ihre kaufmännischen Daten aktuell zu Verfügung und konnten so schneller ihr Geschäftsmodell anpassen oder Anträge für Unterstützungsmaßnahmen stellen.

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Diesen Trend können wir auch an unserem Digitalisierungsindex für Steuerberater ablesen, den ich in den vergangenen Jahren immer an dieser Stelle vorgestellt habe. Und während ich früher stets eine gewisse Ungeduld verbreitet habe im Angesicht der verhaltenen Entwicklung, muss ich für dieses Jahr feststellen: Die Digitalisierung nimmt in den Kanzleien zwar langsam, aber auf breiter Front Fahrt auf – sicher noch langsamer als ich mir das wünschen würde, aber immerhin. Zu den Details verweise ich Sie auf unsere Presseunterlagen, in denen die Ergebnisse der Studie ausführlich dargestellt sind.

Wir sprechen hier zudem über eine Studie, die kurz vor dem Lockdown durchgeführt wurde. Die Ergebnisse beschreiben also eine Situation, die überwiegend die Entwicklung im Verlauf des vergangenen Jahres widerspiegelt und nur einen begrenzten „Corona-Effekt“ beinhaltet. Um diesen Effekt beurteilen zu können, haben wir im Herbst eine zusätzliche Auflage des Digitalisierungsindex vorgesehen.

Klar ist: In den Kanzleien, aber auch in den mittelständischen Unternehmen ist jetzt der Wille da, die Digitalisierung betriebswirtschaftlicher Prozesse voranzutreiben. Der Digitalisierungsschub ist heute schon spürbar. In den ersten Monaten der Corona-Pandemie ging es vor allem darum, Arbeitsfähigkeit sicherzustellen. Home-Office wurde nicht nur bei uns die neue Normalität, über ein Viertel aller Beschäftigten in Deutschland arbeitete Anfang April von zu Hause aus. Die Akzeptanz für dieses Arbeitsmodell hat sowohl auf Seiten der Arbeitnehmer wie Arbeitgeber grundsätzlich zugenommen.

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Doch wir merken mittlerweile, dass sich die Bedarfe verschieben – weg von einem kurzfristigen Krisenbewältigungsmodus hin zu nachhaltigen Digitalisierungsbestrebungen. Das merken wir beispielsweise bei unseren ASP-Lösungen DATEVasp, DATEV SmartIT und PARTNERasp. Hier hatten wir bereits im vergangenen Jahr ein starkes Wachstum, in den letzten Wochen hat das Interesse noch einmal zugelegt. Wir werden unsere Kunden aktiv unterstützen, in der Restart-Phase und danach die Weichen neu zu stellen und digitale Strategien voranzutreiben. Das Portfolio für den Restart mit zielgerichteten Beratungsangeboten und Lösungen haben wir unter www.datev.de/corona-restart aufbereitet, um den Kanzleien und Unternehmen schnell Orientierung und Hilfe zu geben. Als erstes Angebot haben wir umfassende Beratungs- und Schulungsbausteine zum Thema Liquidität erarbeitet. Das Angebot reicht von der Liquiditätsanalyse bis hin zur Einführung von Beratungsangeboten in der Kanzlei. Auf der Seite sind auch unsere Seminare und Unterstützungsangebote für das Konjunkturpaket hinterlegt. Die entsprechenden Informationsangebote rund um das Konjunkturpaket wurden seit Anfang Juni über eine Viertelmillion Mal aufgerufen.

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Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit der Art und Weise, wie wir unsere Mitglieder und Kunden bisher in der Krise begleiten und unterstützen konnten. Wir waren in der Lage, sehr schnell zu reagieren und passende Informationsangebote und Lösungen zu erstellen. Dafür haben wir auch vielfach großes Lob von den Anwendern bekommen.

Es ist nicht selbstverständlich, dass wir so schnell und zielgerichtet unsere Prioritäten neu setzen konnten. Wie in vielen anderen Unternehmen war unsere Arbeit früher traditionell hierarchisch organisiert. Einer Welt, in der alles mit allem verbunden und in stetem Wandel begriffen ist, ist diese Organisationsstruktur aber nicht länger gewachsen. Entscheidend ist heute, dass wir uns schnell und flexibel an sich ändernde Rahmenbedingungen anpassen. Corona hat uns noch einmal in aller Deutlichkeit vor Augen geführt, wie schnell sich die Welt grundlegend verändern kann! Plötzlich mussten wir kollektiv unsere Arbeitsprozesse neugestalten, kurzfristig Lösungen für neuartige Bedarfe finden, Projekte neu priorisieren. Doch das ist nur eine akute, schmerzliche Erfahrung. Was wir sehen müssen ist der Trend dahinter, der sich hier zwar wie im Brennglas manifestiert, der aber schon länger zu sehen ist und die Arbeit nachhaltig prägt.

Im vergangenen Jahr hatte ich Ihnen an dieser Stelle bereits angekündigt, dass wir uns deswegen neu ausrichten und Prozesse, Methoden sowie die Organisation transformieren und eine Veränderung der Unternehmenskultur in die Wege leiten. Die Grundannahme dabei lautet: Es gibt keinen dauerhaften Idealzustand eines Unternehmens, lediglich ein gewünschtes Zielbild, das selbst Änderungen unterworfen ist. Der Weg dorthin ist ein kontinuierlicher Prozess des Prüfens, Adaptierens und Neudenkens. Wir haben nicht zuletzt deswegen im vergangenen Jahr unsere Entscheidungsstrukturen und auch die Organisation unserer Arbeit neu ausgerichtet.

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Ein Beispiel dafür ist die Einrichtung von sogenannten Workstreams bei der DATEV: Im Rahmen der Transformation liegt nun die End-to-End-Verantwortung entlang der Wertschöpfung über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts hinweg bei so genannten Product Ownern. Die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen werden ihnen in den Workstreams bereitgestellt. Dabei ist die personelle Ausstattung eines Workstreams flexibel und bedarfsorientiert, je nach gerade benötigten Kompetenzen und Ressourcen.

Ein Beispiel für ein Produkt, das in einem Workstream entwickelt wird, ist übrigens auch unsere Plattformlösung für Privatpersonen mit KLARTAX, SmartExperts und Meine Steuern. Das Modell Workstream hat bei der Weiterentwicklung von KLARTAX seine hohe Reaktionsfähigkeit und Flexibilität demonstriert: Bewusst hatten wir die Lösung im Januar als „Early Access“ auf den Markt gebracht, damit wir möglichst früh das Feedback des Marktes einholen und die Bedürfnisse der Kunden bei der Produktentwicklung berücksichtigen können. Das konstruktive Mitwirken der Nutzer hat bereits geholfen, wichtige Weichen bei der Weiterentwicklung der Anwendung zu stellen, insbesondere im Zusammenspiel mit SmartExperts und Meine Steuern. Auch auf funktionaler Ebene wurden in den letzten sechs Monaten im Rahmen des „Early Access“ eine Reihe von Neuerungen entwickelt. Mittlerweile ist es auch möglich, die damit erstellte Steuererklärung direkt ans Finanzamt zu übermitteln. So hilft KLARTAX dabei, die Arbeit rund um die Steuererklärung verteilt über das Jahr zu erledigen – ganz entspannt.

Aber nochmal zurück zu den Entscheidungsstrukturen: Wir haben die Entscheidungskompetenz verstärkt dorthin verlagert, wo auch die fachliche Expertise zu Hause ist und wo die zur Entscheidung anstehenden Themen heranreifen. Denn unser neues Organisationsmodell setzt stark auf die Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen. Die meisten Entscheidungen können direkt von den Produktverantwortlichen in den Workstreams getroffen werden. Nur weitreichendere Entscheidungen werden in einem Gremium zur operativen Unternehmenssteuerung getroffen, das jeweils themenbezogen besetzt ist. Damit stellen wir sicher, dass nur diejenigen Personen in den Entscheidungsprozess involviert werden, die auch davon betroffen sind. Das spart Zeit und Ressourcen.

Lassen Sie mich noch kurz auf das Thema Home-Office eingehen: Mit dem Shutdown standen wir – wie praktisch alle Unternehmen in Deutschland – vor der Herausforderung, unsere Prozesse neu zu definieren, sodass wir auch im Home-Office effizient handeln konnten und können. Durch die Veränderungen der letzten Jahre waren wir darauf vergleichsweise gut vorbereitet. So hat unsere konsequente Mobil-Strategie bei der Arbeitsplatzausstattung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die technische Grundlage dafür geliefert. Doch viel wichtiger war, dass wir beispielsweise in den Workstreams Führung ganz im Sinne einer agilen Arbeitswelt in drei wesentliche Aufgaben unterteilen und diese auch personell differenzieren: Fachliche Führung, prozessuale Führung und Personalführung. Die Aufteilung hat enorm dazu beigetragen, dass unsere Teams im Home-Office schnell effiziente Strukturen entwickeln konnten, weil eben ein Teil der Führungskräfte qua Verantwortung genau dafür zuständig und nicht durch die operativen Aufgaben völlig absorbiert war. So konnten sie auch in der Zeit des Shutdowns voll produktiv arbeiten. Auch, wenn für viele Kolleginnen und Kollegen die Belastung natürlich heftig war, wenn sie gleichzeitig Kinder betreuen oder sich um weitere Angehörige kümmern mussten.

Mit der Corona-Erfahrung können wir also heute sagen, dass die getroffenen Maßnahmen im Rahmen unserer Transformation nicht nur funktionieren, sondern unsere Krisenresilienz gesteigert haben.

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Bei allen negativen Folgen von Corona sehen wir auch, dass insbesondere alle Lösungen und Möglichkeiten rund um die Digitalisierung an Bedeutung gewinnen. So haben viele Unternehmen in den vergangenen Monaten erlebt: Mit digitalen Prozessen lässt sich Vieles auch remote erledigen. Braucht es nach den Erfahrungen der letzten Wochen überhaupt noch einen festen, physischen Arbeitsplatz oder sollten wir uns nicht lieber in ganzer Konsequenz agil und projekteorientiert organisieren, eine weitere Dimension von „New Work“? Wir haben schon vor längerem intern Projekte aufgesetzt, die sich genau mit diesen Themenstellungen auseinandersetzen.

Ich gehe auch davon aus, dass viele Menschen ihre Haltung gegenüber der Digitalisierung in der Krise verändert haben: Einer der Hauptgründe für die Digitalisierungsskepsis war bislang ja die Angst vor Jobverlust, wenn Computer immer mehr Tätigkeiten übernehmen. Dass diese Angst in Summe unbegründet ist, habe ich schon häufig erläutert. Doch die Krise hat die Vorzeichen grundlegend geändert: Im Shutdown hat sich gezeigt, dass digitalisierte Arbeitsplätze gerade mehr Sicherheit bieten. Tätigkeiten, die mithilfe von Technik ausgeführt werden, lassen sich gut auch von zu Hause erledigen und sind weniger anfällig dafür, auf Kurzarbeit gesetzt zu werden.

Und wenn sich mobiles Arbeiten flächendeckend etabliert, dann sollte das auch Auswirkungen auf die Art und Weise haben, wie wir leben. Dann besteht keine unmittelbare Notwendigkeit mehr, in Ballungsräume, also da, wo viele Unternehmen und damit die Arbeitsplätze sind, zu ziehen. Die Folge sollte ein Ende der Landflucht und damit einhergehend eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt in Städten sein. Planwirtschaftliche Instrumente wie ein Mietendeckel würden dann genauso gut der Vergangenheit angehören wie berufsbedingte Verkehrsstaus. Letzteres hätte zudem positive Auswirkungen auf die Feinstaubbelastung. Eine win-win-Situation sozusagen.

Natürlich ist dafür zuallererst eine funktionierende digitale Infrastruktur nötig. Denn, auch das gehört zu den Corona-Erfahrungen der letzten Wochen: Nicht immer war die Internetverbindung stabil, häufig war sie überlastet. Vor allem auf dem Land besteht hier Nachholbedarf. Auch müssen, um sich nicht in völlige Abhängigkeit von amerikanischen oder asiatischen Anbietern mit laxeren Datenschutzregeln zu begeben, europäische Projekte wie Gaia-X frischen Aufwind erfahren. Wir brauchen eine an europäischen Standards und Werten ausgerichtete Dateninfrastruktur und Datenschutzstruktur.

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Nicht nur zukünftig, schon jetzt hilft die Digitalisierung uns in vielen Lebenssituationen. Denn auch das hat Corona gezeigt: Digital gut aufgestellte Betriebe und Geschäfte sind derzeit weit weniger insolvenzgefährdet. Für die nächsten Jahre erwarte ich einen deutlichen Digitalisierungsschub für unser Land. Das trifft auch auf die öffentliche Verwaltung zu. Wo früher Anträge in Papierform eingereicht werden mussten, sind in Corona-Zeiten vielfach auch digitale Einreichungen möglich geworden. Der Trend wird sich fortsetzen.

Mit dem Konjunkturpaket hat die Bundesregierung ein historisches Programm aufgesetzt. Wir haben in der Genossenschaft alles dafür getan, dass die Steuerberater und ihre Mandanten zum 1.7. unter den neuen Rahmenbedingungen handlungsfähig waren – und wir werden weiterhin alles dafür tun, dass der Berufsstand seinen Beitrag zum Gelingen leistet.

Gleichzeitig merken wir auch, dass unsere Kunden in Sachen Digitalisierung in die nächste Phase übergegangen sind. Es geht heute längst nicht mehr nur darum, die akute Krise zu bewältigen, sondern die Weichen zu stellen für eine weitaus digitalere Zukunft, als wir sie uns noch Anfang des Jahres vorstellen konnten. Wir verstehen uns in diesem Prozess als Wegbereiter und Unterstützer für unsere Mitglieder und Kunden.

Dennoch bleibt natürlich die große Frage, wie sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den nächsten Monaten verändern werden. Die aktuellen Prognosen zeichnen ein Bild mit großen Unsicherheiten, was sich auch auf unser Geschäft auswirken wird. Ich möchte daher an dieser Stelle klarmachen: Wir sind zwar bis hierhin vergleichsweise gut durch die Krise gekommen – dazu gleich mehr von Diana Windmeißer – doch wie sich das in den nächsten Monaten weiter entwickeln wird, dazu wage ich, wagen wir keine Prognose. Der Blick in die Glaskugel ist einfach nicht möglich.

Doch zunächst wird unser Aufsichtsratsvorsitzender Nicolas Hofmann ein paar Worte an Sie richten, auch um die besondere Situation zu erläutern, in der in diesem Jahr die Feststellung des Jahresabschlusses erfolgt ist.

Vielen Dank

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