Ein Arbeitsleben für DATEV und KI

Von Thomas Günther

Professor Dr. Peter Krug ist seit 1986 mit DATEV verbunden, seit 36 Jahren fest bei der Genossenschaft angestellt. Er war unter anderem Leiter Außendienst, Entwicklungsvorstand und ist aktuell Chief Markets Officer. Zum 30. Juni tritt er in den Ruhestand ein. Ein Interview zum Abschied.

Porträtfoto von Prof. Dr. Peter Krug, CMO DATEV eG

DATEV magazin: Wie sind Sie eigentlich zu DATEV gekommen?

Prof. Dr. Peter Krug: Ich stand während meines BWL-Studiums vor der Frage, in welche Richtung ich mich vertiefe. Mein späterer Doktorvater riet mir zu der Kombination Steuerrecht und EDV – zwei Gebiete, die sich permanent verändern, dadurch aber besonders spannend sind. Mein Doktorvater, der Dr. Heinz Sebiger gut kannte, nannte mir damals schon DATEV als potenziellen Arbeitgeber, der einen guten Ruf genießt. So kam das eine zum anderen. Mein erster Tag war der 2. Januar 1989, wobei ich über meine Doktorarbeit zur künstlichen Intelligenz schon drei Jahre zuvor mit DATEV verbunden war. Wir hatten mit dem BWA-Report künstliche Intelligenz schon Anfang der 1990er Jahre für mehr als 100.000 Unternehmen im Einsatz.

Sie haben vor über 40 Jahren angefangen, sich mit KI zu beschäftigen. Nun, am Ende Ihrer beruflichen Laufbahn, nimmt das Thema richtig Fahrt auf. Kommt manchmal der 20-jährige Peter hoch, der sich wünscht, jetzt noch mal neu anfangen zu können?

Im Frühjahr 2023, als der Hype um ChatGPT auf einem ersten Hoch war, kam ich mir vor wie ein alter, weißer Mann, der nur Bedenkenträger ist. Durch meine lange Expertise wusste ich ja, warum es mindestens 25 Jahre gedauert hat, bis die KI wieder in aller Munde war – schlicht, weil sie aufgrund der enormen Rechenleistung und Speicherkapazitäten zu teuer war. Das ist mittlerweile etwas anders, aber ich sage trotzdem weiterhin: KI ist kein Allheilmittel. ChatGPT ist nicht erfunden worden, um die Wahrheit zu sagen, sondern um zu berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Dinge eintreten. Also ja, der 20-jährige Peter Krug hätte heute auch viel Spaß an KI, aber auch der über 60-jährige beschäftigt sich sehr viel mit den neuen Tools und Möglichkeiten.

Welche Stationen oder Projekte haben Sie in Ihrer 36-jährigen Laufbahn bei DATEV besonders geprägt?

Ich kann, denke ich, auf zwei Projekte besonders stolz sein: DATEV Kanzlei-Rechnungswesen und DATEV Unternehmen online. Zwei Babys von mir, die mittlerweile flächendeckend eingesetzt werden und die Arbeitsprozesse in den Kanzleien massiv vereinfacht haben. Auch die Einführung der RZ-Bankinfo war ein Meilenstein, vor dem damals – wie heute bei KI – viele Menschen die Angst hatten, sie würden ihren Job verlieren. Diese Menschen arbeiten heute noch in Kanzleien, weil keine Jobs, sondern nur einfache Routinetätigkeiten weggefallen sind.

Welche Anekdoten sind Ihnen aus dieser Zeit besonders in Erinnerung?

Ich erinnere mich noch an die Windows-Umstellung, als wir ein Seminar namens ‚Maus-Führerschein‘ angeboten haben, in dem es darum ging, eine Computermaus richtig zu bedienen. Die Mitglieder kamen aus der DOS-Welt und kannten nur Tastaturbefehle. Wenn man auf solche Geschichten heute zurückblickt, muss ich ein bisschen schmunzeln, was das für Zeiten waren. Und als zweite Anekdote: Ich musste mal ein Schadenersatzgespräch mit einer Kanzlei führen, weil die Systeme ausgefallen waren. Just am Tag dieses Gesprächs kam es zu einem weiteren Systemausfall. Das werde ich nie vergessen, das war ein Rosenmontag. Zwei Jahre später war der IT-Leiter der Kanzlei, mit dem ich an diesem Rosenmontag gesprochen hatte, bei der CeBIT und hat DATEVasp mit verkauft. Das Beispiel zeigt das Genossenschaftliche, fast schon Familiäre: Es gibt mal Knatsch, man rauft sich wieder zusammen und zieht dann wieder am selben Strang.

Blicken wir in die Gegenwart und die Zukunft: Sie sagen, dass es dem Berufsstand mindestens die nächsten zehn Jahre noch gutgehen wird – trotz der aktuellen wirtschaftlichen Unwägbarkeiten. Woran machen Sie diesen Optimismus fest?

Das sind vier Gründe. Erstens: der demografische Wandel. Über 50 Prozent der aktuellen Kanzleiinhaber sind über 50 Jahre alt. Damit ist vorgezeichnet, dass im Verlauf der nächsten Jahre viele Kanzleien schließen werden. Die Mandanten müssen weiter betreut werden, auch wenn es da sicherlich noch zu der einen oder anderen Insolvenz kommen wird. Aber Mandanten gibt es auf Jahre hinweg genug. Zweitens: Die Generationen, die nachwachsen, möchten nicht mehr 50, 60 Stunden pro Woche arbeiten und meiden deshalb den Weg in die Selbstständigkeit. Es gibt eine Verschiebung der Arbeitslast, was ebenso dazu führt, dass Mandanten weiter Schlange stehen werden. Drittens: Mit dem ESG-Reporting wartet das nächste große Geschäftsmodell am Horizont. Viertens: Der demografische Wandel schlägt bei den Mandanten genauso durch, die künftig kaum noch Lohnbuchhalter finden und deshalb den Lohn auslagern werden an Kanzleien. Die Steuerberatungskanzlei wird zum ausgelagerten Chief Finance Officer. Kanzleien, die ihre Prozesse optimieren und automatisieren, können diese Zusatzlast gut auffangen und in zusätzlichen Umsatz umwandeln.

Auf welche künftigen Herausforderungen sollten sich Kanzleien dennoch vorbereiten?

Das war nur die wirtschaftliche Perspektive. Es gibt andere Felder, nach denen sich Kanzleien nach dem Jahr 2025 zurücksehnen werden, beispielsweise die Arbeitsmarktsituation. Die Fachkräftelage wird sich kontinuierlich verschlechtern. Die Lösung liegt in automatisierten Prozessen und Standards, sonst werden die Kanzleien ihr Geschäft nicht mehr abwickeln können.

Wir haben drei Thesen mit der Bitte, diesen zuzustimmen oder eine Kontrarede zu halten. Erstens: Die Anzahl an Steuerberatungskanzleien wird sich drastisch reduzieren – und das ist gut so!

Der erste Teil stimmt, dem zweiten Part stimme ich nicht zu, denn das ist nicht gut. Es ist schade, dass so wenige junge Menschen die Chancen, die der Berufsstand bietet, sehen und nutzen.

Zweitens: Der Berufsstand macht es sich zu bequem und ruht sich zu sehr auf dem Status quo aus!

Im ersten Augenblick liegt die Vermutung nahe, aber die Lastsituation in den Kanzleien ist seit Jahren wirklich enorm. Ich glaube schon, dass viele Kanzleien den Status quo verändern und sich weiterentwickeln möchten, aber schlicht keine Zeit dafür haben. Also bequem ist die Situation sicherlich nicht. Der Preis für den wirtschaftlichen Erfolg ist sehr hoch. Aber wie gesagt: Irgendwann müssen die Kanzleien den nächsten Schritt gehen, um erfolgreich zu bleiben.

Und drittens: Steuerfachangestellte braucht in zehn Jahren keine Kanzlei mehr!

Doch, Kanzleien benötigen auch in zehn Jahren noch Steuerfachangestellte – werden aber kaum noch welche bekommen. Die Tätigkeit der Steuerfachangestellten werden sich künftig alle paar Jahre verändern, weil sich die Prozesse und Technologien verändern werden.

Eines Ihrer Herzens- und Lebensthemen ist KI. Wie weit sind die Kanzleien Ihrem Eindruck nach beim Thema KI?

Wie überall im Leben gilt auch hier die Gauß’sche Kurve: 15 Prozent beschäftigen sich intensiv mit KI und setzen diese schon gezielt ein. 70 Prozent sind interessiert, aber hatten bisher weder Zeit noch Anlass für eine intensivere Auseinandersetzung. Und dann gibt es 15 Prozent Verweigerer, die zum Großteil in den nächsten Jahren sowieso aus dem Berufsleben ausscheiden werden. Die Vorreiter werden die Nutznießer sein, ganz klar. Die werden ihre Prozesse durchoptimieren und damit skalieren. Für die anderen 70 Prozent steht noch ein enormer Changeprozess an, auf den sie sich einlassen müssen.

Wie werden Kanzleien künftig KI einsetzen und wie wird sich dadurch der Arbeitsalltag ändern?

Nehmen wir das Beispiel ESG-Reporting, ein Bürokratiemonster, das als zusätzliche Arbeitslast auf die Kanzleien zukommt. An der Stelle muss DATEV natürlich in Vorleistung gehen, um mithilfe von KI-Mechanismen relevante Daten für das Reporting zu ermitteln und den händischen Aufwand zu minimieren. Und auch dann werden die Kanzleien im Vorteil sein, die sich mit KI und Automatisierung bereits beschäftigt haben.

Welchen Tipp, den Kanzleigründer unbedingt beherzigen sollten, geben Sie ihnen auf den Weg?

Etabliert durchgängige Prozesse mit einem Standard. Das ist der erste wichtige Tipp. Und der zweite lautet: Hört auf euren Kundenbetreuer und fragt nicht, warum. Macht einfach, was die Betreuer euch sagen, weil die jahrelange Erfahrung haben und die Neugründer wirklich ausgesprochen gut durch die Gründerzeit lotsen.

Sie übergeben den Staffelstab an Dr. Markus Algner: Was eint Sie beide und wo ticken Sie unterschiedlich?

Uns eint, dass wir beide sehr stark an Menschen orientiert, humorvoll und auch schlagfertig sind. Auf der anderen Seite wird Markus sicherlich nicht immer derjenige sein, der bei Kundenveranstaltungen die Bar abschließt. Aber das muss auch kein Ziel sein.

Sie Verwenden einen veralteten Browser oder den IE11 im Kompatiblitätsmodus. Bitte deaktivieren Sie diesen Modus oder nutzen Sie einen anderen Browser!