Sprinterin trifft Langstreckenläufer

Von Constanze Elter

Es gibt verschiedene Wege in die Digitalisierung. Nicht jeder ist für jeden geeignet. Zwei Steuerberater berichten, wie sie das Ziel auf ganz unterschiedlichen Routen erreicht haben.

Porträtfoto von Nina Kern und Stefan Maier

Die Ziellinie ist die gleiche. Allein: Der Weg, sie zu erreichen, unterscheidet sich manchmal sehr. Bei 100-Meter-Sprints entscheidet jeder Schritt, manchmal sind es Bruchteile von Sekunden – ein hoher Einsatz in kurzer Zeit. Auch der 10.000-Meter-Läufer will die gleiche Ziellinie überschreiten. Aber um dorthin zu kommen, muss er viele Kurven nehmen und gut mit seinen Kräften haushalten. Und sich an wechselnde Bedingungen anpassen, um den Schwung nicht zu verlieren.

Für Stefan Maier war der Weg in die Digitalisierung ein solcher Langstreckenlauf. In der ersten Etappe ging es für den Steuerberater aus Mittelfranken darum, die Parallelwelten zu verlassen, die an den Standorten seiner Kanzlei WPH GmbH & Co. KG entstanden waren: „Einmal der Seniorpartner, der viel mit Sekretärin und Diktat arbeitete, und dann ich als Junior, der den digitalen Weg gesucht hat.“ Parallelwelten, die in der gesamten Belegschaft existierten. „Es gab Neugierige, die Chancen in der Digitalisierung sahen, und es gab die, die alles auf altbewährte Art erledigen wollten“, sagt Maier.

Doch die Zukunft würde digital sein, das stand für ihn fest, als er die Kanzlei 2015 mit seinem neuen Partner umstrukturierte. Damit stellte sich ihm allerdings eine Frage, die viele in der Branche bewegt: Doch wie bringt man eine Kanzlei mit lang jährigen analogen Strukturen in die digitale Welt?

Kein Büro, keine Akten: das Sprintmodell

Rund 700 Kilometer weiter nördlich sitzt Nina Kern im schleswig-holsteinischen Felm mit einem Kaffee vor ihrem Laptop. Wenn Maier der Langstreckenläufer ist, ist Kern direkt mit Sprints in die Digitalisierung gestartet. Büro? Akten? Feste Arbeitszeiten? Gibt es bei ihr nicht. Kern hat ihre Steuerberatungskanzlei von Tag eins an komplett digital aufgebaut. „Ich bin ein unfassbar fauler Mensch, und ich möchte Dinge nicht unnötig tun. Wenn ich die Möglichkeit habe, mir Arbeit von einem Programm oder einem System abnehmen zu lassen, wäre ich doch blöd, das nicht zu nutzen“, sagt Kern. Sie setzt konsequent auf Cloudlösungen und Automatisierung, weil sie lieber Mandanten berät, als Buchungssätze zu erfassen. „Ich glaube fest an die Idee, Steuerberatung einfach anders zu machen.“

Stefan Maier dagegen beschritt gemeinsam mit seinem neuen Partner den Weg in die neue Welt in ruhigerem Tempo, musste auf der langen Strecke Ressourcen managen und Mitarbeiter mitnehmen. Digitale Prozesse wurden schrittweise eingeführt, alle konnten sich beteiligen. Maiers Prämisse damals: „Wir suchen immer nach dem digitalen Weg. Aber eben nicht dogmatisch.“ Neuen Mandanten bot er nur noch digitale Prozesse an, alten dagegen verlangte er nichts ab, wozu sie nicht bereit gewesen wären.

Bei ihrer Transformation setzte Maiers Kanzlei zudem auf externe DATEV-Berater. Gemeinsam mit dem Team – aber ohne die Chefs – digitalisierten sie die Prozesse in den einzelnen Bereichen Schritt für Schritt. Eine Mitarbeiterin wurde vom operativen Geschäft freigeschaufelt und stand als Ansprechpartnerin durchgehend bereit. Er wünsche sich „immer einen Mitarbeiter mehr als Arbeit“ – so beschreibt Langstreckenläufer Maier den Grundgedanken seiner Transformationsstrategie.

Effizienzgewinn dank Digitalisierung

Nina Kern geht es um maximale Effizienz. „Mit drei Mitarbeitern leiste ich die Arbeit, die normalerweise eine doppelt so große Kanzlei erledigt. Weil wir alles komplett effektiv, effizient und strukturiert auf die Bahn gebracht haben.“ In Kerns Kanzlei ist auch von Beginn an eine Vier-Tage-Woche etabliert worden, bei größtmöglicher Flexibilität. Wichtig sei nicht, wann gearbeitet werde, sondern dass alles rechtzeitig erledigt sei und Fristen eingehalten würden. Auch die Kommunikation in Kerns Team läuft digital. Dennoch sind regelmäßige persönliche, beinahe familiäre Treffen bei Tee oder Frühstück für alle Kanzleimitarbeiter essenziell. „Das macht einen Teil der Magie unseres Teams aus“, sagt Kern.

Interne Abläufe zu digitalisieren ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen stehen die externen Prozesse. Dass es nichts bringt, eine Kanzlei zu transformieren, die Mandanten aber nicht abzuholen, war Stefan Maier sofort klar. Deshalb unterstützte eine Mitarbeiterin die Mandanten bei der Transformation, erklärte ihnen, wie sich Prozesse verändern und half bei der Umstellung. „Wir haben immer gesagt: Digitalisierung macht nur Spaß, wenn es der Mandant macht.“ Das bedeutete auch: den Mandanten umfassend in Anwendungen einzubinden – etwa über die digitale Personalakte – die Nachfolgelösung ist mittlerweile in DATEV Personal integriert – oder über die Bankfunktionen von DATEV Unternehmen online.

Maiers Mitarbeiter hatten dabei die Aufgabe, immer gleich komplette Prozesse aufzusetzen und umfassende Lösungen zu entwickeln. „Nutzt es nicht als Brückentechnologie, sondern fordert immer vollständiges Arbeiten mit dem Tool ein – und nicht ein bisschen was per E-Mail und ein bisschen was über Upload“, sagt Maier.

Die Mitarbeiter sind der zentrale Faktor

Die Mehrheit der Mandanten von Nina Kern sind ohnehin gar nicht in ihrem regionalen Umfeld angesiedelt – und meist sehr offen für digitale Prozesse. Herausforderungen mit analogen Mandanten habe sie wie alle anderen auch. „Der Unterschied ist jedoch, dass wir ein Konzept der Digitalisierung haben und klare Prozesse.“ Im Erstgespräch stellt sie fest, wie die Bereitschaft zur digitalen und automatisierten Zusammenarbeit ist. „Bin ich nicht die richtige Steuerberaterin, kommuniziere ich das.“

Entscheidend, darin sind sich Maier und Kern einig, sind die eigenen Mitarbeiter. Aus dem Team heraus entwickelte Lösungen seien immer besser als von der Geschäftsleitung vorgegebene Ideen, sagt Maier. Nina Kern empfiehlt: „Man muss die Mitarbeiter abholen, sich Zeit nehmen und auch Ängste ernst nehmen. Ich muss als Kanzleiführung auf der Frequenz senden, auf der es beim Empfänger ankommt.“ Anders gesagt: also zusammen den richtigen Trainingsplan entwerfen, damit alle gemeinsam ans Ziel kommen.

Im Gespräch mit...

Nina Kern
Nina Kern

Die Kanzleien

Die Steuerberatung Nina Kern hat ihren Sitz im schleswig-holsteinischen Felm in der Nähe von Kiel. Eine Anlaufstelle für Mandanten gibt es dort allerdings nicht – die Kanzlei arbeitet vollständig digital. Zum Team gehören neben der Inhaberin Nina Kern drei Mitarbeiter.

WPH beschäftigt sieben Wirtschaftsprüfer und Steuerberater und rund 60 Steuerfachkräfte und andere Spezialisten an den Standorten Schwabach, Lauf an der Pegnitz und Wendelstein in Mittelfranken sowie Neumarkt in der Oberpfalz. 2015 startete die Kanzlei ihre digitale Transformation.

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