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Von: Simon Hagen
Weil sie im Inland keine Auszubildenden fand, hat eine Lübecker Kanzlei zwei Fachkräfte aus Indonesien eingestellt. Bereut hat sie den Schritt nicht – auch wenn der Aufwand nicht zu unterschätzen war. Ein Erfahrungsbericht
Als Shafira Anjani im Sommer 2024 am Lübecker Hauptbahnhof ankommt, stellt sie als Erstes fest: „Die Luft ist hier so schön.“ Zwar sind Bahnsteige eigentlich nicht die Orte, die man mit einer besonderen Luftqualität verbindet, schon gar nicht an mitunter schwülheißen Augusttagen. Doch die 26-Jährige spielt mit dem Satz auf den Smog an, den sie aus ihrer Heimat kennt: der Millionenstadt Bandung in Indonesien.
Björn Lankau denkt mit einem Schmunzeln an diese Anekdote zurück. Der Steuerberater holte Anjani und ihre Kollegin Aurelvania Salim damals am Bahnsteig ab. Ein guter Freund hatte ihn auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, über eine Agentur Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen.
Lankau und seine Kollegen Sven Jeschull und Torsten Schönberger von der Lübecker Kanzlei „Das Steuerhaus“ erkannten darin eine Chance. Denn sie standen im Ausbildungsjahr 2024 vor einer grundsätzlichen Frage, die Lankau wie folgt schildert: „Werden wir Ausbildungsbetrieb und bilden jährlich ein bis zwei Leute aus, die wir im besten Fall durch Dankbarkeit und Wertschätzung langfristig binden können? Oder sind wir der Betrieb, der für fertige Mitarbeitende teilweise stattliche Provisionen zahlt und der nach unserer Erfahrung diese Mitarbeitenden nach circa 24 Monaten wieder ersetzen muss?“ Im Jahr zuvor hatte die Kanzlei trotz umfangreicher Marketingmaßnahmen erfolglos nach Auszubildenden gesucht.
Da kam Lankau die Idee des Freundes wieder in den Sinn, über den die beiden schließlich den Kontakt zu AuLiD bekamen – einer Agentur, die Fachkräfte aus dem Ausland für eine Ausbildung und ein Leben in Deutschland rekrutiert. „AuLiD hat sich darauf spezialisiert, aus verschiedenen Bereichen der Welt Leute zu suchen, die die Chance sehen, in Deutschland Fuß zu fassen und eine Ausbildung zu bekommen“, erklärt Schönberger. Dabei kümmere sich die Agentur um fast alles – von der Suche nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten in ihrem Netzwerk über Deutschkurse im Vorfeld bis hin zu einem Portal, auf dem notwendige Dokumente hochgeladen werden können. In einem Vorgespräch konnte die Kanzlei ihre Anforderungen an künftige Azubis darlegen, etwa ob sie das Abitur abgelegt oder ein BWL-Studium absolviert haben sollten.
„Anschließend sind wir mit der Idee noch mehrere Wochen bis Monate schwanger gelaufen, denn wir haben gesagt: Das ist ein großer Schritt!“, berichtet Schönberger. Ihnen sei klar gewesen, dass viel Arbeit auf sie warte. Denn wer Fachkräfte aus dem Ausland einstellt, muss eine Reihe von Vorgaben beachten. Das betrifft nicht nur den Lohn, sondern auch die Frage, welche Benefits – wie das Deutschlandticket oder ein Fahrrad – die Auszubildenden zu bekommen haben.
Daneben müsse man die Flugkosten als Darlehen auslegen und eine voll möblierte Wohnung samt Internetanschluss zur Verfügung stellen. Diese ist dann als Sachbezug Teil des Auszubildendengehalts, erläutert Lankau. „Unterm Strich fallen höhere Kosten als bei einem deutschen Auszubildenden an.“
Trotz anfänglicher Skepsis entschied sich Das Steuerhaus zu dem Schritt. Nach einem Kennenlernen über die Videoplattform Zoom – das bereits auf Deutsch erfolgte – machten sich Anjani und Salim auf den Weg nach Lübeck. Voraussetzung dafür war, dass sich in der Belegschaft je zwei Mitarbeitende pro Auszubildende bereit erklärten, als Pate oder Patin bereitzustehen und ein Ausbildungsteam zu bilden. In der Kanzlei sei das positiv aufgenommen worden. Ein Beleg dafür ist, dass die Ausstattung für die Wohnung der Azubis dank der Mithilfe der Kolleginnen und Kollegen schnell zusammenkam.
Ein erstes Zwischenfazit der Steuerberater fällt positiv aus. Auch wenn die Sprache teilweise noch eine große Herausforderung sei, könnten sich die schulischen Leistungen sehen lassen. „Die beiden sind hochmotiviert und hängen sich voll rein“, sagt Schönberger. Beachtlich sei ihre Leistung auch vor dem Hintergrund, dass in den Klausuren mehr abverlangt werde als bloßes Auswendiglernen, ergänzt Lankau. „Im Steuerrecht wird nach einem Sachverhalt gefragt, den sie lösen müssen. Das ist mit dieser anfänglich noch krassen Sprachbarriere, gerade bei Fachbegriffen, bemerkenswert.“
In der Kanzlei dürfen die beiden zunächst überwiegend den Stoff aus der Schule nachlernen, um im ersten Jahr nicht den Anschluss zu verlieren. „In der Praxis übernehmen sie noch nicht so viel wie ein Azubi aus Deutschland“, schränkt Lankau ein. „Wir hatten ein Konzept, wie wir die Ausbildung am Anfang aufziehen – doch dieses haben wir mittlerweile bestimmt viermal geändert, weil es sich einfach nicht als gut herausgestellt hat. Und dann passen wir unsere Prozesse auch laufend an. Aber an sich ist es eine normale Ausbildung – angepasst an die beiden, da es hier und da halt ein bisschen länger dauert.“
Shafira Anjani selbst hatte bei der Sprache im Vorfeld die größten Bedenken, aber jetzt mache sie sich keine Sorgen mehr, „vor allem, weil die Kolleginnen und Kollegen hier so freundlich und nett sind und mir helfen“. Auf die Chance, mithilfe einer Vermittlungsagentur in Deutschland zu arbeiten, war sie durch den Instagram-Post eines Freundes aufmerksam geworden. Ihr Studium hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen, und da sie ihre dort erlernten Kenntnisse im Rechnungswesen weiter vertiefen wollte, entschied sie sich für die Ausbildung als Steuerfachangestellte. Diesen Schritt bereut die Indonesierin nicht, denn ihr gefällt es in Deutschland – nicht zuletzt, weil es ihr gelang, auch außerhalb der Arbeit relativ schnell Kontakte zu knüpfen.
Ihren Vorgesetzen ist es wichtig, dass sich die beiden wohlfühlen und sie Wertschätzung erfahren, denn dann bekomme man auch Dankbarkeit und Loyalität zurück und profitiere auf lange Sicht von der Arbeitskraft der beiden, meint Lankau. Sowohl Anjani als auch Salim machen auf Lankau und Schönberger nicht den Eindruck, als würden sie nach der Ausbildung zurück in ihr Heimatland wollen, im Gegenteil: Sie fühlen sich nach eigener Aussage sehr wohl in Deutschland. Sie könnten der Kanzlei also langfristig erhalten bleiben.
Nach den guten Erfahrungen bisher denkt man im Steuerhaus bereits darüber nach, dieses „Experiment“ zu wiederholen. Zwar wird es nach derzeitigem Stand im kommenden Jahr keine weiteren Auszubildenden geben, aber wenn Anjani und Salim ins dritte Lehrjahr gehen, wollen die Steuerberater eventuell erneut Auszubildende aus dem Ausland rekrutieren. Diese müssten dann auch nicht zwingend aus Indonesien kommen, so Schönberger. Und vielleicht wissen auch die nächsten Neuankömmlinge dann die Luft am Lübecker Hauptbahnhof zu schätzen.
Die Kanzlei
„Das Steuerhaus“ wird von Torsten Schönberger, Sven Jeschull und Björn Lankau geführt. Die Standorte der Kanzlei liegen im schleswig-holsteinischen Lübeck und in Wismar (Mecklenburg-Vorpommern); das Einzugsgebiet der Mandanten reicht aber weit über die regionalen Grenzen hinaus.
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