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Von: Jörg Peters
Die Zahl der Auszubildenden in Steuerberatungskanzleien stagniert. Dabei ist das Werben um die junge Generation das wirksamste Mittel gegen den Fachkräftemangel. Worauf es jetzt ankommt.
Lilly Kosiol ist cool. Denn die Anfang-20-Jährige hat einen Job, von dem viele junge Menschen träumen: Lilly ist Influencerin. Auf der Onlineplattform zahltsichausbildung.de berichtet sie aus ihrem Arbeitsalltag, postet Videos, beantwortet Fragen. Den Beruf, für den sie dort schwärmt, finden viele ihrer Altersgenossen dagegen ziemlich uncool: Lilly ist Steuerfachangestellte, vor wenigen Monaten hat sie erfolgreich ihre Ausbildung abgeschlossen.
Steuergesetze, Durchführungsverordnungen, Abgabefristen: Ein Job beim Steuerberater hat für viele Jugendliche und junge Erwachsene das Image einer verstaubten Büroklammer. Allein schon die vielen Fachbegriffe! „Am Anfang war es total schwer für mich zu verstehen, wie sich die anderen unterhalten im Steuersprech“, erinnert sich Lilly Kosiol. Inzwischen empfindet sie sich selbst als „Native Speakerin“ und die zahlreichen Vorurteile gegenüber ihrer Branche als ungerechtfertigt. Ihr Fazit zu ihrer Ausbildung fällt „absolut positiv“ aus. „Es fühlt sich gut an, etwas Sinnvolles zu tun und den Mandanten bei ihren Problemen zu helfen.“
Fördermittel beantragen, Lohnabrechnungen machen, Steuererklärungen einreichen: Wie man all das regelt, hat sie in der Ausbildung gelernt – mit Spaß und ohne eine Einserkandidatin in Mathe zu sein, wie sie selbst sagt.
Lilly ist das Gesicht einer breit angelegten Initiative von Bundessteuerberaterkammer, Deutschem Steuerberaterverband und DATEV, deren Ziel es ist, mehr Fachkräfte für die Branche zu gewinnen (siehe Kasten Seite 16). Die gesamte deutsche Wirtschaft leidet unter dem Mangel an qualifiziertem Personal, weil in den kommenden Jahren viele ältere, erfahrene Arbeitnehmer in den Ruhestand gehen, aber deutlich weniger junge nachrücken. Bis 2027 könnten bundesweit etwa 728.000 Fachkräfte fehlen, prognostiziert das Institut der Deutschen Wirtschaft. Aufgrund des hohen Durchschnittsalters der Beschäftigten in der Steuerberatung sind der demografische Wandel und der Fachkräftemangel in dieser Branche besonders ausgeprägt. Mehr als 70 Prozent der Unternehmen finden den Wirtschaftsforschern des ifo-Instituts zufolge nicht genügend Bewerber. Als Konsequenz erwägen viele Kanzleien, bestehende Mandate zu kündigen oder keine neuen mehr anzunehmen.
Umso erstaunlicher, dass sich dies bei den Ausbildungszahlen kaum widerspiegelt. 2024 zählte die Bundessteuerberaterkammer deutschlandweit 17.355 Auszubildende, was einem Plus von lediglich einem Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Der Wert stagniert seit Jahren. Kein Wunder: Nur rund ein Fünftel der Steuerberatungskanzleien hierzulande investieren in Ausbildung. Neben dem verstärkten Werben um die junge Generation und das Herausstellen der vielen Vorteile des Berufs kommt es daher zunehmend auf die Steuerberaterinnen und Steuerberater selbst an: „Trauen Sie sich das zu?!“, ist heute Frage und Appell zugleich.
Uwe Schramm nimmt die Berufsträger persönlich in die Pflicht. „Steuerberaterinnen und -berater müssen sich stärker engagieren und mehr ausbilden“, fordert der Betriebswirtschaftsprofessor, der an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg den Studiengang Rechnungswesen, Steuern und Wirtschaftsrecht leitet (siehe Interview Seite 22). „Der Fachkräftemangel führt zu einem Teufelskreis: Wir alle haben viel Arbeit auf dem Tisch. Deshalb haben die Kolleginnen und Kollegen wenig Zeit, sich um die Ausbildung zu kümmern. Das Problem wird vor sich hergeschoben und so verschlimmert.“ Das gehe so weit, dass Kanzleien Wettbewerber übernehmen – nicht wegen der Mandanten, sondern wegen der Fachkräfte. „Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen.“
Leonie Krause zeigt, wie das gehen könnte. Die Steuerberaterin aus Nürnberg ist eine der jüngsten Vertreterinnen ihrer Zunft – schon mit 24 hat sie ihre Prüfung abgelegt. Ihren künftigen Auszubildenden hat sie auf einer Ausbildungsmesse kennengelernt: Sie hielt einen Vortrag über die Vorteile des Berufsstandes und räumte mit Vorurteilen darüber auf. Direkt im Anschluss kam ein interessierter Schüler auf sie zu. Auf das Gespräch folgten zwei Praktika und schließlich ein Ausbildungsvertrag.
Krause benötigt als Steuerberaterin keine weitere Qualifikation, um ausbilden zu dürfen. „Natürlich brauchen Auszubildende am Anfang jemanden, der bei ihnen ist und hilft“, meint Krause, die aufgrund ihres Alters Teil der Generation Z ist und somit deren Bedürfnisse und Vorstellungen kennt. „Wir wollen so schnell wie möglich Flexibilität herstellen, sodass auch die Arbeit von zu Hause möglich ist.“ Um für Bewerberinnen und Bewerber attraktiv zu sein, müsse die voll digitale Kanzlei her. „Wir müssen Standardtätigkeiten automatisieren, um mehr Zeit für das Wesentliche zu haben: die Beratung unserer Mandanten.“
Influencerin Lilly sieht das ähnlich. „Der Einblick in verschiedene Bilanzen ist spannend, und jeder Mandant ist anders. Es ist cool, hier auf Augenhöhe unterstützen zu können und dabei viel mitzukriegen. Der Job ist abwechslungsreich, sinnvoll – und man hilft echten Menschen bei ihren echten Problemen.“ DATEV-Chef Robert Mayr sieht genau hier den richtigen Ansatz, um mehr junge Menschen für den Beruf zu begeistern: „Wir müssen unsere Mitglieder besser dafür sensibilisieren, was die junge Generation fordert und erwartet, wie man sie als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen und binden kann und wie eine sinnvolle Förderung aussehen kann.“
Denn die Generation Z – dazu zählen junge Leute, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind – ist nicht nur hoch motiviert, sondern sucht vor allem nach einer Aufgabe mit Sinn. Um sie zu begeistern und das Image des Berufsfelds Steuerberatung zu verbessern, ging vor einem Jahr die Kampagne #zahltsichausbildung an den Start. Ihr Ziel ist, die junge Zielgruppe noch vor der Berufswahl anzusprechen – inklusive Selbsttest, Stellenbörse und Vorlage für den Lebenslauf.
Zusätzlich unterstützt die Kampagne „GEMEINSAM handeln!“ Kanzleien dabei, Fachkräfte zu gewinnen, auszubilden, zu binden und weiterzuentwickeln. Anhand einer Checkliste können Inhaber oder Partner überprüfen, wie attraktiv ihre Kanzlei für Angehörige der Generation Z ist und wie sich das Unternehmensprofil noch verbessern ließe (siehe Kasten Seite 15).
Die Fachkräfte von morgen selbst auszubilden, klingt für viele Steuerberater zunächst nach viel Aufwand. Doch die Mühe lohnt sich, und die Vorteile überwiegen: Selbst ausgebildete Fachkräfte verfügen über genau die Qualifikationen, die in der Kanzlei gebraucht werden. Zudem ist die Identifikation der Mitarbeiter mit der Kanzlei höher, in der sie ihre Ausbildung absolviert haben. Identifikation, Qualifikation und Motivation wiederum führen zu einer höheren Qualität der Arbeit. Und: Ist es nicht auch ein Wert an sich, jungen Menschen eine Perspektive zu bieten?
Anja Petersen rät Steuerberatungskanzleien, sich noch viel früher um potenzielle Azubis zu bemühen. „Praktika bieten einen unverwechselbaren Rahmen, um einander kennenzulernen“, sagt die Verantwortliche für die Fachkräfteinitiative bei DATEV. „Diese Erfahrung ist nicht nur für Berufseinsteiger von großer Bedeutung, sondern auch die Kanzleien können sich so ohne großen Aufwand die Fachkräfte von morgen sichern.“ Deshalb bietet die Initiative auch Unterstützungsmaterial für Kanzleien an, um Praktikanten an den steuerberatenden Beruf heranzuführen. Das Paket enthält praxisnahe Aufgaben und Fallsammlungen, sowohl für Tages- als auch für Langzeitpraktika, die einen realistischen Einblick in den Kanzleialltag liefern.
Seit dem Start der Fachkräfteinitiative haben sich die Downloadzahlen für das Praktikantenpaket deutlich erhöht. Damit das Interesse nicht abebbt, hat sich Petersen für dieses Jahr eine weitere Zielgruppe herausgepickt: „Eltern sind die Influencer Nummer eins, die ihre Kinder immer noch am stärksten beeinflussen.“
Auch für die Steuerberaterin Nicole Klein steht das Thema Fachkräfte ganz oben auf der Agenda, auf ihrer Website wirbt sie mit einer Stellenanzeige um neue Mitglieder für ihr Team. Klein bildet in ihrer Schwabacher Kanzlei selbst aus und sitzt in der Prüfungskommission für Steuerfachangestellte und Steuerfachwirte in Bayern. Ausbilden hält sie angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt für „alternativlos“. Auch sie betont die Sinnfrage, um das leicht verstaubte Image der Branche zu befördern: „Hinter jeder Steuererklärung, hinter jedem Einspruch steht immer ein Mensch. Wenn wir uns das bewusst machen, bekommt unser Beruf eine viel größere Dimension.“
Außerdem spielt sie beim Recruiting die Karrierekarte: „Der einzige freie Beruf in Deutschland, den man ohne Abitur ausüben kann, ist der Steuerberater.“ Tatsächlich setzen die meisten freien Berufe wie Arzt, Rechtsanwalt oder Architekt ein Studium voraus. Beim Steuerberater gibt es einen alternativen, praxisorientierten Weg: Nach der dreijährigen Ausbildung zum Steuerfachangestellten und mehrjähriger Berufserfahrung darf man die Steuerberaterprüfung auch ohne Hochschulreife oder akademischen Abschluss ablegen. Mindestens zehn Jahre Berufserfahrung sind nachzuweisen; wer sich zwischendurch zum Steuerfachwirt oder Bilanzbuchhalter weiterbildet, kann sich bereits nach sieben Jahren zur Prüfung anmelden und sich anschließend als freiberuflicher Steuerberater selbstständig machen – bei bestandener Prüfung, versteht sich.
Dass sich das Berufsbild der Steuerberatung gerade grundlegend wandelt, ist in der breiten Öffentlichkeit noch nicht wirklich angekommen. Digitalisierung und künstliche Intelligenz sorgen dafür, dass Routinetätigkeiten weniger werden und mehr Zeit für die eigentliche Beratung der Mandanten frei wird. „Ihr versteckt euch hinter dicken Büchern in einer Gesetzeswelt, das hat ja nichts mit Menschen zu tun“, ist eines der Vorurteile, die Steuerprofessor Schramm häufig zu hören bekommt. Dabei sei genau das Gegenteil der Fall. „Wir sind fast wie Seelsorger, so viel erfahren wir von den Menschen. Es ist gut, dass wir eine strenge Verschwiegenheitspflicht haben.“
Schramm hat eine simple Erklärung dafür, warum der Beruf so oft so falsch eingeschätzt wird: Unwissenheit. „Junge Menschen kennen die Steuerberatung gar nicht, sie haben ja noch kaum etwas mit Steuern zu tun gehabt.“ Und dann stöhne der Vater abends auch noch wegen seiner Steuererklärung.
Auch die Influencerin Lilly Kosiol kam erst über einen Umweg zu ihrem heutigen Traumjob: Als sie ihren Vater zu einem Termin bei seinem Steuerberater begleiten durfte, habe es bei ihr „klick“ gemacht. „Mein Papa meinte, Steuern seien wichtig, schau es dir doch mal an. Und dann hatte ich mein Bewerbungsgespräch quasi mitten im Mandantentermin.“ Auch im Privatleben konnte sie ihr Wissen schon anbringen: „Egal wo du hinkommst, es wird immer mindestens einen geben, der eine steuerliche Frage hat. Es ist cool, wenn man da Ahnung hat.“
Mittlerweile hat sie ihre Ausbildung in Dresden beendet, heute arbeitet sie für eine Münchner Kanzlei. Umziehen musste sie dafür nicht – hybrides Arbeiten ist in der Branche heute die Regel. Ihr früherer Arbeitgeber unterhielt einen Standort auf Mallorca, auch von dort aus hätte sie problemlos arbeiten können. Welcher Ausbildungsberuf kann das sonst noch bieten?
„Fleißig sein muss man schon“, sagt die Steuerfachangestellte rückblickend. „Du musst dich begeistern können und Interesse daran haben, einen Blick hinter die Kulissen von Unternehmen zu werfen.“ Die Ausbildung sei „nicht ohne“ – aber machbar.
Auch Hochschullehrer Schramm bildet nicht nur Studenten aus – sondern auch zwei Azubis in seiner eigenen Kanzlei; der eine ist im ersten und der andere im zweiten Lehrjahr. Für dieses Jahr hat gerade ein 16-Jähriger unterschrieben. „Im Bewerbungsverfahren hat er klargemacht, dass er noch mit zwei weiteren Kanzleien im Gespräch sei. Frei nach dem Motto: Zeigt mal, was ihr könnt“, sagt Schramm. „Am Ende hat es offensichtlich gereicht. Das freut mich.“
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