Insolvenzrechtliche Mandate

Ein Fall für Spezialisten

von Markus Wohlleber und Robert Brütting

Die Begleitung eines sanierungsbedürftigen Unternehmens ist einem Steuerberater ohne fundierte Kenntnisse in diesem Rechtsgebiet praktisch unmöglich. Wer sich hier selbst überschätzt, kann in Teufels Küche kommen, wie Steuerberater Markus Wohlleber im Gespräch erläutert.

Rettungsring in Form eines Paragrafensymbols

DATEV magazin: Wie unterscheidet sich die Bearbeitung eines Mandats, wenn es sich um ein kriselndes anstatt eines florierenden Unternehmens handelt?

MW: Hierzu muss vorab definiert werden, wann ein Betrieb noch als gesund und wann als krank einzustufen ist. Im übertragenen Sinne kann angeschlagen alle Aspekte beschreiben, die einem nachhaltigen Fortbestand des Unternehmens entgegenstehen. Dies könnte trotz prall gefüllter Kassen das Fehlen geeigneter Leistungsträger oder Umsätze in der Zukunft sein, etwa durch ein auslaufendes Patent, oder das Aufkommen ernstzunehmender Konkurrenz, auch wenn die Zahlen aktuell noch gut sind. Daher ist es in heutiger Zeit wohl generell geboten, präventiv zu beraten. Im konkreten Kontext krank ist ein Mandant, wenn die aufgetretenen oder absehbaren Probleme einen Insolvenzantrag innerhalb der nächsten 24 Monate nicht als ausgeschlossen erscheinen lassen. Somit muss man die Vorstufe eigentlich als gefährdet bezeichnen.

DATEV magazin: Und in dieser Phase drohen einem klassisch ausgerichteten Steuerberater bereits versteckte Haftungsrisiken?

MW: Ab einer derartigen Kennzeichnung bedarf es einer deutlich intensiveren Betreuung hinsichtlich Überwachung und Korrespondenz mit der Geschäftsleitung und – ganz wichtig – einer Dokumentation, was der steuerliche Berater mit der Mandantschaft auf der Führungsebene besprochen hat. Hier drängen sich Parallelen zur Vorgehensweise der Ärzteschaft auf, die alle Schritte, nicht zuletzt auch wegen einer Haftungsvermeidung, dokumentieren muss. Dies belegen inzwischen viele Handbücher mit dem Titel „Steuerberater-Haftung in Krise und Insolvenz“. Das sagt wohl alles.

DATEV magazin: Das Steuerrecht während einer Sanierungsmaßnahme oder Insolvenz ist also anders als bei einem normalen Geschäftsbetrieb?

MW: Dem Grunde nach, ja. Das Insolvenzsteuerrecht hat zwei Besonderheiten, die einen erheblichen Unterschied zum normalen Geschäftsbetrieb ausmachen. Der erste Unterschied ergibt sich aus einer Vielzahl völlig anderer Geschäftsvorfälle. Begründet wird dies durch den Insolvenzantrag beziehungsweise die Insolvenzeröffnung. Dadurch tritt unter anderem der sogenannte Sicherungsfall ein mit der Folge, dass in den vielfältigen Kredit-, Leasing- und Wareneinkaufsverträgen beziehungsweise Dauerschuldverhältnissen, die das Unternehmen über all die Jahre abgeschlossen hat oder eingegangen ist, das sogenannte Kleingedruckte zum Tragen kommt.

DATEV magazin: Und dadurch entsteht eine ausgesprochen komplexe Gemengelage?

Für den Fall einer Insolvenz behalten sich die Gläubiger besondere Rechte vor, um ihr Eigentum zu schützen beziehungsweise ihre Forderungen abzusichern. Das sind die Sicherungsrechte, wie etwa einfacher, verlängerter oder erweiterter Eigentumsvorbehalt, aber auch Zessionen, Raumsicherungsübereignung oder ein Vermieterpfandrecht. Innerhalb eines Insolvenzverfahrens kommt es daher im Vergleich zum Normalbetrieb zu einer Vielzahl untypischer Geschäftsvorfälle, weil die buchhalterische und bilanzielle Abbildung dieser Sicherungsrechte der Gläubiger zu besonderen Buchungssätzen führen.

DATEV magazin: Können Sie dies an einem konkreten Beispiel näher erläutern?

MW: Ein Beispiel hierzu ist der sogenannte Dreifachumsatz. Dieser besagt auf Basis der BFH-Rechtsprechung, dass das Sicherungsgut nach Eintritt der Sicherungsreife – ein Insolvenzverfahren stellt einen solchen Umstand dar – umsatzsteuerrechtlich von der Firma zur Bank – alternativ, je nach Sicherungsart – auch zum Hersteller oder dem Lieferanten zurückgeliefert wird. Dieser Empfänger, also Bank, Hersteller und Lieferant, möchte beziehungsweise kann das Sicherungsgut aber gar nicht selbst verwerten und übereignet, ebenso im umsatzsteuerlichen Sinne, das Gut in einer Art von Rücklieferung, wieder an die Firma. Diese wiederum verkauft das Gut an den eigentlichen Abnehmer beziehungsweise Endkunden. Die Ware verlässt bei diesem umsatzsteuerlichen Prozedere den Lagerort nicht, vielmehr beruhen die fiktiven Lieferungen allein auf Basis der geschlossenen Sicherungsvereinbarungen. Somit führt der abschließende Verkauf an den Endabnehmer zu drei Buchungssätzen mit der Erforderlichkeit, entsprechende Dokumente in Form von Abrechnungen und Gutschriften vorlegen zu können. Daher auch der Begriff Dreifachumsatz.

DATEV magazin: Das dürfte bei größeren Firmen mit umfangreichen Warenbeständen sehr komplex beziehungsweise arbeitsintensiv sein.

MW: Bei großen, wertigen Wirtschaftsgütern, wie etwa Autos oder Baumaschinen oder einer überschaubaren Anzahl an Gläubigern, ist dies noch relativ einfach zu händeln. Stellen Sie sich aber das Prozedere bei einem Baumarkt mit 10.000 Artikeln und über hundert verschiedenen Lieferanten vor. Da ist Sonderwissen vorausgesetzt, unter anderem auch bezüglich des Handlings, denn bei der Lösung solcher Fallgestaltungen gewinnen auch sogenannte Lieferantenpools an praktischer Bedeutung, die wiederum eigene steuerliche Besonderheiten aufweisen.

DATEV magazin: Führen insolvenzbedingte Handlungen also regelmäßig zu außergewöhnlichen Steuerbuchungen?

MW: Insgesamt lassen sich wohl mehr als 200 insolvenzbedingte Sonderthematiken identifizieren. Eine weitere Besonderheit ist, dass die entstandene Steuer hinsichtlich ihrer Würdigung beziehungsweise Bezahlung in Tabellenforderungen oder Masseverbindlichkeiten einzuordnen ist. Die Entstehung der Steuer bleibt unter Anwendung der Sonderthemen im Grunde zwar normal. Die Frage, ob die Steuer jedoch bei Fälligkeit zu 100 Prozent zu bedienen ist oder als Tabellenforderung erst bei Verfahrensende und lediglich mit einer Quote befriedigt wird, ist für jeden Euro an Steuerverbindlichkeit gesondert zu beurteilen.

DATEV magazin: Ein Steuerberater, der mit Sanierung oder Insolvenz nicht vertraut ist, kann ein derartiges Mandant also gar nicht begleiten?

MW: Nüchtern betrachtet: nein. Die Kenntnis der umfangreichen rechtlichen und sanierungsrelevanten Rahmendaten ist Voraussetzung für eine korrekte Beratung. Mangelt es an diesem Wissen, ist eine Begleitung für beide Seiten – also Mandat wie auch Berater – gefährlich. Jeder Steuerberater muss zwingend bedenken, dass die Betreuung insolvenzgefährdeter Mandanten als gefahrgeneigte Arbeit mit erheblichen, auch persönlichem Haftungspotenzial anzusehen ist. Die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Kenntnistand sowie freien Ressourcen für eine derartige Betreuung müssen am Anfang einer hierzu bewusst getroffenen Entscheidung stehen.

DATEV magazin: Und dies funktioniert im realen Ablauf bei der Bearbeitung eines kriselnden Unternehmens?

MW: In der Praxis sieht es leider häufig ganz anders aus. Das Mandat gleitet stillschweigend und oft gänzlich unbemerkt über in eine eigentlich erforderliche, aber nicht als solche erkannte beziehungsweise offenkundige Krise, einhergehend mit einer dann unzureichenden Krisenberatung. Die bewusste Wahrnehmung, dass hier ein normales Mandat verloren geht, findet mangels Prüfroutine in der Steuerkanzlei des betroffenen Unternehmens oft gar nicht statt. Für derartige Prüfroutinen bräuchte es gesonderte Kenntnisse. Diese sind aber nicht vorhanden oder es fehlt schlicht und einfach an der notwendigen Zeit. Zudem war in der Vergangenheit vielleicht keine Häufung von Insolvenzfällen in der Mandantschaft zu verzeichnen. Wofür also dann der Aufwand? Das sind häufig die Gründe, warum falsch oder zu spät reagiert wird, wenn wie derzeit, die Insolvenzzahlen und damit die Gefährdung der eigenen Mandantschaft schnell nach oben gehen.

DATEV magazin: Der Deutsche Steuerberaterverband bietet eine Fortbildung zum Zertifizierten Fachberater für Sanierung und Restrukturierung an. Ist diese Weiterbildung sinnvoll beziehungsweise ausreichend?

MW: Sinnvoll in jedem Fall, ja, um die Erforderlichkeit zu erkennen, bei Krisenmandaten entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Ausreichend, um eigenständig und nachhaltig die Krisenberatung übernehmen zu können hingegen – jedenfalls aus meiner Sicht – nicht. Hierfür braucht es mehrjähriges Verfahrenswissen und vor allem ein Netzwerk von branchenerfahrenden Dienstleistern. Unter anderem sind hier Spezialisten gefragt, die beurteilen können und Bescheinigungen ausstellen, ob ein Unternehmen noch sanierungsfähig ist. Gleiches gilt für die Werthaltigkeit vorhandener Bestände oder Forderungen. Diese Beurteilung sollte – nicht zuletzt auch aus Gründen der Objektivität – extern erstellt werden. Ein Steuerberater, der das betroffene Unternehmen langjährig betreut, kann dies in der Regel nicht.

DATEV magazin: Braucht der klassische Steuerberater diese Fortbildung dann überhaupt?

MW: Nein, denn die neuen Gesetze, also SanInsFoG und StaRUG, beinhalten Hinweis- beziehungsweise Mitwirkungspflichten für jeden Steuerberater, die bei Unterlassen auch Haftungstatbestände auslösen können. Daher hat die Ausbildung beim DStV schon einen Nutzen, um zu erkennen, wann das eigene Mandat in eine ernsthafte Krise abgleitet.

DATEV magazin: Was raten Sie einem Kollegen, wenn dieser bemerkt, dass sein Mandant in eine ernsthafte Krise abgleitet?

MW: Er muss zunächst seriös beurteilen, ob in der eigenen Kanzlei das erforderliche Fachwissen vorhanden ist. Danach ist zu prüfen, ob die erforderlichen Ressourcen – also Mitarbeiter und Arbeitszeit – aktuell verfügbar sind. Dies entscheidet darüber, ob das Mandant überhaupt fortgeführt werden kann oder offen kommuniziert abgegeben werden sollte. Soll das Mandat in der eigenen Kanzlei während der Krise – als Teil eines Teams – mit betreut werden, erfolgt als dritte Komponente die Prüfung, ob das Mandat selbst seine krisenhafte Situation anerkennt und willens sowie in der Lage ist, erforderliche Sanierungseinschnitte zu vollziehen. Ist das nicht der Fall, wäre allein deshalb schon das Mandat aus Haftungsgründen vollständig zu beenden. Gerade dies ist aber keine Selbstverständlichkeit.

DATEV magazin: Dann schlägt sozusagen Ihre Stunde, die Stunde des Experten.

MW: In dieser Phase des kriselnden Unternehmens kommt es häufig darauf an, ob man es mit einem Fremd-Geschäftsführer oder dem Eigentümer selbst zu tun hat. Geschäftsführer sind in der Regel objektiver und akzeptieren, dass sich der Betrieb in einer Krise befindet. Inhaber hingegen verbinden das Eingeständnis einer Krise leider oft mit dem eigenen Unvermögen, die Firma in der Erfolgsspur halten zu können. Ergo bedarf es einer frühzeitigen Diagnose. Denn ohne eine rechtzeitige Sensibilisierung des Mandanten, was zu tun ist, verringern sich die Chancen, den angeschlagenen Betrieb zu retten. Andernfalls droht ein Krisenszenario, bei dem die Existenz des Unternehmens ernsthaft gefährdet ist.

DATEV magazin: Sie sind von Anbeginn Ihrer Tätigkeit als Steuerberater auf Sanierung und Insolvenzbegleitung spezialisiert. Können Sie die Rolle eines Restrukturierungsbeauftragten übernehmen, wie es das StaRuG vorsieht?

MW: Theoretisch ja, praktisch nein! Das Gesetz spricht zwar davon, dass ein in Sanierung spezialisierter Steuerberater diese Rolle ausfüllen kann, tatsächlich aber läuft die Vorschrift insoweit leer. Selbst ich mit meinen fundierten Kenntnissen würde im Rahmen einer Sanierung niemals die alleinige Verantwortung übernehmen, sondern sehe mich immer als wichtiger Player in einem Team von Experten.

DATEV magazin: Welche Unterstützung weiterer, externer Spezialisten benötigen Sie, wenn die Sanierung eines Unternehmens gelingen soll?

Ein Netzwerk bestehend aus flankierenden Dienstleistern ist unerlässlich. Die Qualität und deren Verfügbarkeit ist mit ausschlaggebend, wie gut eine Sanierung oder Restrukturierung gelingen kann, denn dies setzt zu einem beträchtlichen Teil harte handwerkliche Arbeit voraus, die von vielen Parametern beeinflusst wird und der betroffene Betrieb in der Realität tatsächlich neu ausgerichtet werden muss.

DATEV magazin: Wie sieht ein solches Netzwerk aus?

MW: Ein Netzwerk bestehend aus spezialisierten Anwälten oder Insolvenzverwaltern ist unabdingbar, denn diese parallel auszuführenden Tätigkeiten setzen nicht nur juristische Kenntnisse voraus, dass man den Sanierungsfall erkennt oder einen Restrukturierungsplan konzeptionieren kann, sondern auch dazu fähig ist, dies allen Betroffenen zu vermitteln, also Arbeitnehmern, Banken, Lieferanten, Kreditversicherern, dem Finanzamt oder den Sozialkassen und Pensionssicherungsvereinen. Diese Beteiligte verlieren vordergründig und müssen in der Regel erst von der Sinnhaftigkeit der Sanierung überzeugt werden. Da aber auch der Faktor Zeit von entscheidend ist, kann nur ein Netzwerk, dass parallel arbeitet, die Voraussetzungen erfüllen, Klarheit mit allen wesentlich Beteiligten zu schaffen, bevor beim angeschlagenen Unternehmen das Geld endgültig ausgeht.

DATEV magazin: Wie lautet Ihr abschließendes Fazit?

MW: Wer als Steuerberater kriselnde Mandanten begleitet, muss in der Lage sein, ad hoc die richtige, sprich rechtlich korrekte Betreuung zu gewährleisten. Auch wenn gesetzlich keine spezifische Fortbildung verlangt wird, verläuft hier in der Realität eine Trennlinie, da das veränderte Mandat eine spezielle Begleitung erforderlich macht, sobald die Prägung auf krank umspringt. Will der bisherige Steuerberater das Mandat weiter bearbeiten, muss er die hierfür erforderlichen Kenntnisse besitzen. Dies ist Grundvoraussetzung für eine adäquate Begleitung des veränderten Mandats.

Markus Wohlleber

Steuerberater, Dipl.-Betriebswirt (FH), Bankkaufmann sowie Fachberater für Sanierung und Insolvenzverwaltung (DStV). Er ist Geschäftsführer der Steuerberatungsgesellschaft Wohlleber GmbH in Nürnberg, Haßfurt und Frankfurt/M.

Robert Brütting

Rechtsanwalt in Nürnberg, Fachjournalist Steuern und Recht und Redakteur beim DATEV magazin

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