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Sammelklagen
Von Robert Peres
Seit 20 Jahren gibt es die Sammelklage auch in Deutschland. Kleinaktionäre hatten große Hoffnungen darauf gesetzt. Aber bewährt sich das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz in der Praxis?
Quizfrage: Woran denken Sie bei den Namen Julia Roberts und Manfred Krug? Schauspieler, okay, aber sonst? Kapitalmarktexperten haben neben Pretty Woman oder Liebling Kreuzberg aber noch eine ganz andere Assoziation: Sammelklagen.
Julia Roberts gewann 2001 einen Oscar für ihre Darstellung einer Anwaltsgehilfin im Film Erin Brockovich, die den US-Konzern Pacific Gas and Electric mit einer Sammelklage in die Knie zwingt. Die Handlung geht zurück auf eine wahre Begebenheit: 1996 erstritten Geschädigte eines Umweltskandals von dem Unternehmen Schadenersatz in Höhe von 333 Millionen US-Dollar.
In Deutschland gab es dieses juristische Instrument damals nicht. Daran, dass sich das änderte, hatte Manfred Krug seinen Anteil, zumindest indirekt. Der Tatort-Ermittler und Fernsehstar hatte Ende der 1990er-Jahre für die Aktie eines deutschen Telekommunikationsanbieters Werbung gemacht, der damals an die Börse ging und seine Anteilsscheine als „Volksaktie“ vermarktete. 1,9 Millionen Bundesbürger zeichneten die Aktie seinerzeit, nicht zuletzt dank Krugs Werbeeinsatz, darunter viele unerfahrene Anleger.
Doch die Aktie hielt nicht, was der Emittent versprochen hatte. Nach anfänglichen Kurssteigerungen stürzte der Wert des Papiers regelrecht ab, viele Anleger erlitten erhebliche Verluste. So kam ein Prozess in Gang, an dessen Ende die Sammelklage auch nach Deutschland kam.
Zahlreiche enttäuschte Aktionäre zogen damals gegen das Telekommunikationsunternehmen vor Gericht – jeder einzeln, denn eine gesetzlich geregelte Sammelklage wie in den USA gab es hierzulande ja nicht. Die Folge war eine Lawine von Einzelklagen gegen das Unternehmen wegen Prospekthaftung. Erst im November 2022 endeten die letzten Verfahren mit einem Vergleich.
Die Prozessflut, Aktionärsschützer und die Medien setzten den Gesetzgeber unter Druck, auch in Deutschland ein kollektives Musterverfahren für Anleger zu schaffen. Heraus kam 2005 das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG). Ähnlich wie im US-System der Class Action wird auch im deutschen Pendant ein ausgewählter Musterfall verhandelt. Das soll die Justiz entlasten und zu einer schnelleren Rechtsfindung führen. Soweit die Idee. Doch genau daran mangelte es bisher bei fast allen KapMuG-Verfahren.
Besonders deutlich wird dies am Beispiel des genannten Telekommunikationsanbieters, wo die vielen Einzelklagen nach der Einführung des KapMuG zu einem Musterverfahren zusammengefasst wurden. Vom Beginn des Prozesses bis zum Vergleich vergingen 13 Jahre, die sechs Jahre für die Vorverfahren nicht eingerechnet. Etwa ein Viertel der knapp 17.000 Geschädigten war zum Zeitpunkt des Vergleichs bereits verstorben. In den USA dauern Anlegerklagen im Schnitt nur drei bis vier Jahre. Das Bundesverfassungsgericht sah in der langen Prozessdauer gar einen Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes.
Aufgrund der Kritik des Verfassungsgerichts wurde das Gesetz 2012 von Grund auf neu gefasst. Seine Geltungsdauer wurde bewusst bis Ende Oktober 2020 befristet, um dann aufgrund der bis dahin gesammelten Erfahrungen über die Tauglichkeit des neuen Musterverfahrens entscheiden zu können. Doch dazu kam es nicht. In acht Jahren gab es keinerlei inhaltliche Fortschritte, stattdessen verlängerte die Politik einfach die Frist. Man wolle zunächst den Erfolg der neu geschaffenen Musterfeststellungsklage abwarten, hieß es zur Begründung.
Die damalige Große Koalition hatte fälschlicherweise gehofft, die auf Verbraucherschäden ausgelegte Musterfeststellungklage könne Anlegerklagen gleich mitregeln – was sich in der Praxis als Fehleinschätzung erwies, da sich das Prinzip der Musterfeststellungsklage insgesamt nicht bewährte und durch Einführung der Abhilfeklage sogar noch weiter entwertet wurde.
Der Hauptmangel des KapMuG in seiner heutigen Form ist die noch immer viel zu lange Verfahrensdauer. Der Prozess gegen den Telekommunikationsanbieter würde heute noch andauern, hätte dieser nicht Ende 2021 in den Vergleich mit den verbliebenen Klägern eingewilligt. Die KapMuG-Verfahren gegen zwei von Prominenten initiierte Medienfonds laufen seit mittlerweile 18 Jahren – und ein Ende ist nicht absehbar. Eine Verfahrensdauer von mehr als zehn Jahren ist keine Seltenheit, sie ist der Normalfall.
Eine weitere Schwäche des Gesetzes ist, dass es nicht zur Schaffung vollstreckbarer Titel führt, ja nicht einmal Maßstäbe für eine mögliche Schadensberechnung liefert. Das führt dazu, dass die Geschädigten selbst bei einem Erfolg im KapMuG-Verfahren anschließend einen vollstreckbaren Zahlungstitel in einem weiteren Prozess erstreiten müssen, sofern die Gegenseite eine einvernehmliche Lösung verweigert – eine strukturelle Benachteiligung der Kläger, für die es keine Rechtfertigung gibt. Und die im Ergebnis die Justiz nicht entlastet, sondern zu neuen Prozessen und einer nochmals längeren Verfahrensdauer führt.
Einige weitere Schwachpunkte des KapMuG korrigierte die kürzlich aus dem Amt geschiedene Ampelkoalition im vergangenen Jahr, zudem entfristete sie das bisherige Provisorium. Aus der im Koalitionsvertrag angekündigten grundlegenden Reform des bestehenden kollektiven Rechtsschutzes und dessen Ausbau wurde zwar nichts, doch die Anpassungen trugen zumindest zu einigen Verbesserungen bei. So kann das Verfahren nun auch gegen Anbieter von Krypto-Dienstleistungen angewendet werden, Angaben in Ratings und Bestätigungsvermerken zählen jetzt ebenfalls zu Kapitalmarktinformationen im Sinne des KapMuG, zudem gab es einige Änderungen, die das Verfahren schneller und effizienter machen sollen.
Ob sich dasnovellierte Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz in der Praxis bewähren wird, ist zumindest fraglich. Der Maßstab dafür dürfte das große Anlegerverfahren gegen ein ehemaliges DAX Unternehmen am Bayerischen Obersten Landesgericht in München sein, bei dem auch die Täuschung von Anlegern durch falsche Testate im Raum steht. Laut Marc Liebscher, Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK), handelt es sich dabei um den größten Zivilprozess in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Doch der bisherige Verlauf des Verfahrens gibt wenig Anlass zu Optimismus. Die Aktionärsgemeinschaft SdK wirft dem Obersten Landesgericht jedenfalls Trödelei vor: „Es sind seit Einreichung der ersten Klage über viereinhalb Jahre vergangen, bis wir eine erste mündliche Verhandlung hatten, und das auch nur zur Klärung einer Teilvorfrage“, klagt Liebscher. „Allein die Auswahl des Musterklägers hat ein Jahr gedauert, man bekommt den Eindruck, es fehlt der Wille, das Verfahren zügig anzugehen“, so Liebscher. „Die Kläger sollen durch die Langwierigkeit frustriert und demotiviert werden.“
Die mangelnde Digitalisierung und fehlendes Personal beim Bayerischen Obersten Landesgericht tragen ebenfalls nicht dazu bei, auf einen zeitnahen Verfahrensabschluss zu hoffen. Anders als im Hollywoodfilm Erin Brockovich scheint sich bei den deutschen Sammelklagen eher kein Happy End abzuzeichnen.
Das KapMuG wurde erweitert und an die Entwicklungen des Kapitalmarktrechts angepasst. So kann das Verfahren nun auch gegen Anbieter von Krypto-Dienstleistungen zur Anwendung kommen. Zudem gelten jetzt auch Angaben in Ratings und Bestätigungsvermerken von Abschlussprüfern als Kapitalmarktinformationen im Sinne des Gesetzes.
Über die Eröffnung des Sammelklageverfahrens entscheidet das zuständige Oberlandesgericht selbst. Es ist nicht mehr wie früher an einen Vorlagebeschluss des Prozessgerichts gebunden. Dies soll die Verfahrensdauer verkürzen.
Bisher mussten sämtliche Einzelverfahren durch das zuständige Prozessgericht offiziell ausgesetzt werden, um der Sammelklage beitreten zu können. Nun können sich Kläger aktiv für eine Teilnahme am Musterverfahren entscheiden und sich der Sammelklage anschließen.
Das Gericht kann nun die Vorlage von Beweismitteln anordnen, die sich im Besitz eines Verfahrensgegners oder Dritten befinden. Dadurch sind Kleinanleger in der Lage, an Unterlagen und Beweise des beklagten Unternehmens zu kommen. Dies soll die Asymmetrie bei den Informationen zwischen Klägern und Beklagten ausgleichen. Ohne diese im US-Recht als Discovery bekannte Möglichkeit wären erfolgreiche Sammelklagen kaum denkbar.
ist Rechtsanwalt mit Sitz in Wiesbaden und Berlin. Als Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre setzt er sich für die Rechte von Anlegern ein.
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