DATEV-Jahrespressekonferenz 2022

Dr. Robert Mayr, Vorsitzender des Vorstands, DATEV eG

Rede anlässlich der DATEV-Jahrespressekonferenz 2022

Nürnberg, 8. Juli 2022

(es gilt das gesprochene Wort)

Herzlich Willkommen zur DATEV-Jahrespressekonferenz 2022. Ich freue mich, Sie erneut aus unserem Studio zu begrüßen.

Ich möchte Sie in den nächsten circa 25 Minuten über die wirtschaftliche Entwicklung unserer Genossenschaft sowie die aktuellen Themen informieren, die uns mit Blick auf unsere Mitglieder und die mittelständische Wirtschaft beschäftigen. Dazu gehören leider nach wie vor auch die notwendige Beobachtung der Pandemie-Situation und der Ukraine-Krieg sowie dessen Folgen. Das menschliche Leid dieses Kriegs erschüttert uns unverändert – wie bereits bei unserer letzten Pressekonferenz im März geäußert. Ich werde das Thema an späterer Stelle nochmal aufgreifen und nun zunächst in der bewährten Weise mit einem Blick auf unsere wirtschaftliche Situation starten.

Unsere Genossenschaft hat nach einem erfolgreichen Geschäftsjahr 2021 mit einem Umsatz von 1,22 Milliarden Euro und einem Plus von 5,5 Prozent eine sehr zufriedenstellende Entwicklung verzeichnet: Auch in das erste Halbjahr 2022 sind wir gut gestartet. Näheres wird Ihnen dann meine Kollegin Diana Windmeißer noch mitteilen.

Bei aller verhaltenen Freude über diese Entwicklung unseres Geschäfts bereiten mir allerdings die Rahmenbedingungen zunehmend Sorge, weil sie die Wirtschaft insgesamt, den Berufsstand und auch uns belasten. Da sind einerseits die vielfältigen Veränderungsprozesse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die neben vielen Chancen eben auch Risiken und Unsicherheiten mit sich bringen. Wandel der Arbeitswelt und gesellschaftlicher Werte, zunehmende Wettbewerbs- und Technologiedynamiken, die schleppende Digitalisierung von Verwaltungsprozessen, und viele mehr. Und damit nicht genug: Wir erleben heute multiple Krisen mit dem immer drängenderen Klimawandel, einem furchtbaren Krieg mitten in Europa, einer noch nicht überwundenen Pandemie, massiv steigenden Energiepreisen, Lieferengpässen, einer Inflation, die im Juni 7,6 Prozent erreicht hat, sowie einem nach wie vor massiven Fachkräftemangel. Eine Welt im Wandel, die Menschen wie Organisationen fordert.

Was wir erkennen, ist aber auch Folgendes: Lang- oder mittelfristige strategische Projekte werden aktuell durch kurzfristiges, operatives Krisenmanagement verdrängt. Unternehmen müssen auf die Schnelle ihre Geschäftsprozesse oder sogar Geschäftsmodelle anpassen. Dabei sind – gerade im Mittelstand – die steuerlichen Beraterinnen und Berater oft die ersten Ansprechpartner. Ihre Kernkompetenzen sind gefragt, um die wirtschaftliche Lage zu beurteilen, Liquidität abzusichern, Kredit- und Förderanträge zu stellen sowie Businesspläne weiterzuentwickeln.

Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Mitglieder befragt, wie sie die aktuelle Situation erleben. Unser DATEV Seismograf zeigt: 49 Prozent der Kanzleien bewerten ihre geschäftliche Lage aktuell positiv, 17 Prozent sogar sehr positiv. Nur fünf Prozent geben an, sich in einer negativen wirtschaftlichen Lage zu befinden. Doch dieses auf den ersten Blick positive Bild ist nur ein Teil der Wahrheit.

Dem gegenüber steht eine erhebliche Arbeitsbelastung der Kanzleien, hervorgerufen durch die beschriebenen, sich überlagernden Krisen. Nur elf Prozent sehen das Arbeitsvolumen auf Normalniveau, 88 Prozent sehen sich überlastet oder erheblich überlastet. Als Auslöser der hohen Arbeitslast werden an erster Stelle mit 93 Prozent die Abwicklung von Corona-Wirtschaftshilfen genannt, die bereits seit zwei Jahren die Kanzleien erheblich beschäftigen. Seit Beginn der Pandemie hat die Regierung zehn verschiedene Hilfspakete aufgelegt. Aktuell müssen nun die Endabrechnungen erstellt werden.

Hierbei unterstützen wir unsere Mitglieder umfassend, genauso wie wir es schon seit Beginn der Pandemie getan haben. Neu hinzugekommen ist in diesem Jahr die Grundsteueränderung, die mittlerweile ebenfalls von 90 Prozent der Kanzleien als Faktor erhöhter Arbeitsbelastung angeführt wird. Insgesamt müssen bis Ende Oktober 2022 rund 36 Millionen Grundstücke sowie land- und forstwirtschaftliche Betriebe neu deklariert werden, davon voraussichtlich etwa ein Drittel durch Steuerkanzleien. Bereits im vergangenen Jahr haben wir den Berufsstand intensiv über die notwendigen Schritte informiert und vorbereitende Unterlagen bereitgestellt. Seit April können unsere Mitglieder die Lösung GrundsteuerDigital unseres Partners fino taxtech nutzen, um die Daten der Mandanten zu erfassen. Und seit die ELSTER-Schnittstelle letzte Woche freigegeben wurde, läuft nun auch die Deklaration darüber.

Ein dritter belastender Faktor ist der Mangel an Fachkräften, über den 70 Prozent der Kanzleien klagen. Dabei geht es nicht nur um die Menschen, sondern auch um ihre Qualifikation: Zunehmend sind neben steuerlichen Fachkenntnissen auch Kompetenzen im Bereich Digitalisierung gefordert. Daher unterstützen wir beispielsweise auch die Weiterqualifizierung zum Fachassistenten/Fachassistentin Digitalisierung und IT-Prozesse, die die Bundessteuerberaterkammer im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht hat.

Angesichts der akuten Anspannung durch die Krisen und der hohen Arbeitslast in Unternehmen und Kanzleien ist diese akute Arbeitsbelastung umso bedenklicher, da dadurch Ressourcen gebunden sind, die eigentlich für die strategische Weiterentwicklung in den Kanzleien und Unternehmen dringend benötigt werden.

Dies kann ich Ihnen exemplarisch mit unserer aktuellen Erhebung des Digitalisierungsindex’ für die Steuerberatung demonstrieren. Oberflächlich betrachtet ist seit dem Anstieg zu Beginn der Pandemie relativ wenig Bewegung zu verzeichnen. Zwischen den letzten beiden Befragungen ist die Veränderung beim Digitalisierungsindex gerade mal minus 0,1 Punkte. Allerdings trügt der Schein. Denn das, was ich eben allgemein ausgeführt habe, dass operatives Krisenmanagement die strategischen Projekte verdrängt, das können wir leider sehr konkret im Bereich der Digitalisierung in den Kanzleien ebenfalls nachvollziehen: Wir stellen fest, dass neue Digitalisierungsprojekte offensichtlich nur verhalten angegangen oder gar verschoben werden. Ein Beispiel: Aktuell ist der Anteil an Kanzleien, die eine Einführung von digitalen Leistungen im Bereich Mahnwesen planen, um zehn Prozentpunkte niedriger als im vergangenen Jahr – während sich der Anteil an Kanzleien, die entsprechende Leistungen eingeführt haben, nicht verändert hat. Und das ist nur ein Beispiel, wir sehen das gleiche Muster durchgängig.

So nachvollziehbar diese Reaktion ist, so besorgniserregend ist sie auch. Ausgangspunkt der meisten Digitalisierungsinvestitionen und eines strategisch begründeten Investitionsverhaltens ist eine Stärken-Schwächen-Analyse zum Stand der Digitalisierung in der eigenen Kanzlei. Das Vorhandensein einer solchen „SWOT“ haben wir deshalb als einen konkret greifbaren Indikator gewählt. Es ist nicht verwunderlich, wenn Kanzleien, die eine solche Analyse durchgeführt haben, auch tatsächlich ihre Digitalisierung bereits weiter vorangetrieben haben. Was allerdings sehr wohl überrascht, ist die Größenordnung! Wir reden hier beim Digitalisierungsindex, der eine Skala von 0-200 umfasst, über eine Differenz von 41,4 Punkten gegenüber jenen Kanzleien, die noch keine Stärken-Schwächen-Analyse zu ihrem Digitalisierungsstand durchgeführt haben! Das sind mehr als 20 Prozent. Und gleichzeitig erkennen wir, dass diese Kanzleien in der aktuellen Situation auch resilienter sind: Beim Geschäftsklimaindex schneiden sie um 4,2 Indexpunkte besser ab als Kanzleien, die ihre Digitalisierung nicht so strategisch planen.

Wie gesagt: Ich kann alle verstehen, die angesichts der Arbeitsbelastung schauen, wo sie sich noch Freiräume schaffen können, um die akuten Aufgaben in den Griff zu bekommen. Doch die Zahlen machen für mich auch deutlich: Aufgeschoben darf nicht zu aufgehoben werden. Digitalisierung ist ein wesentlicher Faktor, um in einer Welt, in der sich mehrere Krisen überlagern, sicher in die Zukunft zu navigieren. Sie schafft die Grundlage, um flexibler und schneller auf veränderte Anforderungen reagieren zu können.

Als IT-Dienstleister des Berufsstands begleiten wir unsere Mitglieder und ihre Unternehmenskunden dabei, diese Digitalisierung erfolgreich zu gestalten. Wir sind überzeugt: Die Zukunft liegt in Cloud-basierten Ökosystemen, mit übergreifenden Datenflüssen und Prozessen zwischen Anwendungen aller Akteure. Das ist, ich möchte das hier ganz klar betonen, eine Vision. Da sind wir heute noch nicht, auch andere Ökosysteme oder die Ökosysteme im gegenseitigen Zusammenspiel können das noch nicht. Aber wir haben uns auf den Weg gemacht und entwickeln unser Portfolio und unsere Schnittstellen konsequent in diese Richtung weiter. Zumal uns wesentliche Technologiepartner deutliche Signale geben: Deren Strategie geht ganz klar Richtung „Cloud only”, und dem müssen wir uns anpassen. Dabei ist uns aber eines immer wichtig: Portfolioentwicklung ist für uns kein rein technologischer Wandel von Produkten. Es geht um die zukunftsfähige Gestaltung der Arbeitsabläufe in den Kanzleien und in der Zusammenarbeit mit den Mandanten.

Dabei ist das Vertrauen in den verantwortlichen und transparenten Umgang mit Daten in diesen Prozessen wichtiger denn je. Es geht daher um die Gestaltung eines durchgängigen und stimmigen Dienstleistungsprozesses für unsere Nutzerinnen und Nutzer – um sie in ihren Arbeitsprozessen zu entlasten, so dass sie ihr Tagesgeschäft effizienter und besser meistern können. Dabei greifen unsere On-Premises-Lösungen, unsere Cloud-Anwendungen und -Services sowie Partnerlösungen reibungslos ineinander, um für unsere Kunden ein umfassendes und integriertes Prozesserlebnis zu schaffen. Bereits heute sorgen viele Cloud-Anwendungen und -Services, wie DATEV Unternehmen online, DATEV Arbeitnehmer online oder Meine Steuern im Zusammenspiel mit den On-Premises-Lösungen und Partnerangeboten für mehr Produktivität und Effizienz in den Kernprozessen und in der Kollaboration unserer Kundinnen und Kunden.

Ein Standbein ist die Weiterentwicklung unserer technologischen Basis, unseres Rechenzentrums. Wir haben neben dem klassischen Rechenzentrum, in dem bislang alle Daten und Online-Anwendungen hier im Raum Nürnberg liegen, eine hochmoderne, flexible Infrastruktur implementiert: Unser neues Cloud-native Rechenzentrum, in dem Anwendungsfunktionalitäten als Microservices entwickelt und in leichtgewichtige, vielfältig kombinierbare Container verpackt werden. Damit haben wir eine zukunftsweisende Basis geschaffen, um schneller und effizienter in der Cloud neue Services und Technologien zu implementieren und zu skalieren.

So haben wir nun mit dem Cloud-native Rechenzentrum beispielsweise einen großen Schritt getan, um neue Services für die nächste Generation von DATEV Unternehmen online anzugehen, unserer zentralen Kollaborationsplattform zwischen Kanzleien und ihren Mandanten: Dort werden derzeit für über 918.000 Unternehmen digitale Belege von Kanzleien und ihren Mandanten gemeinsam bearbeitet und archiviert. Was ich mit den neuen Services der nächsten Generation meine, das kann man am neuen Modul Belegfreigabe online sehen, das seit Ende Februar verfügbar ist. Es ergänzt als Cloud-basierter Service DATEV Unternehmen online. Damit lassen sich eingehende Rechnungen schnell und unkompliziert an den oder die jeweils Verantwortlichen zur Prüfung weiterleiten. Nach Freigabe stehen sie dann für die Zahlungsabwicklung und Buchführung bereit. Durch die digitalisierte Weitergabe lassen sich Prozesse weiter verschlanken. Mittlerweile nutzen über 3.000 Kunden den neuen Service.

Sehr erfolgreich entwickelt sich auch unsere KI-basierte Anwendung DATEV Automatisierungsservice Rechnungen. Innerhalb eines Jahres ist sie enorm gewachsen. Mittlerweile werden damit über 10.000 Mandantenbestände bearbeitet, d.h. die Buchungssätze werden automatisiert erstellt. Durch die intensive Nutzung des Automatisierungsservices Rechnungen seit der Marktfreigabe hat die KI inzwischen einen Stand erreicht, bei der eine menschliche Kontrolle nur noch unterstützend erforderlich ist. Anhand der eigenen Ergebnisse optimiert sie sich stetig selbst: Sie berücksichtigt manuelle Bestätigungen und Korrekturen aus den Buchungen, die in die Cloud zurückgesendet werden, und lernt aus ihnen. Bewertet das System einen Vorschlag dennoch als unvollständig oder nicht hundertprozentig sicher, zeigen einfache Symbole dem Anwender auf, wo Daten ergänzt oder kontrolliert werden sollten.

Als weiteren KI-basierten Cloud-Service pilotieren wir aktuell den DATEV Automatisierungs-service Bank. Er generiert Buchungsvorschläge anhand von Kontoumsätzen, die über unseren Bankdatenservice aus dem Rechenzentrum der jeweiligen Bank abgeholt werden. Auch dies ist ein Beispiel, wie KI unsere Mitglieder und Kunden perspektivisch von immer mehr Routinetätigkeiten entlasten wird und so dem massiven Fachkräftemangel entgegenwirkt.

Um die Nutzung unserer Produkte sowie Lösungen im Ökosystem zu vereinfachen, haben wir in den vergangenen Jahren außerdem auch das Portal MyDATEV auf den Weg gebracht und entwickeln dieses kontinuierlich weiter. Wir möchten das Portal zum zentralen Zugang zu allen Diensten im DATEV-Ökosystem ausbauen, auf die unsere Nutzerinnen und Nutzer Zugriff haben. Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir in den kommenden Jahren neben neuen DATEV-Anwendungen auch sukzessive unsere weiteren DATEV-Portale in MyDATEV integrieren. Aktuell erlaubt das Portal aus Sicht einer Kanzlei den Zugriff auf durchschnittlich acht DATEV-
Anwendungen¹, darunter DATEV Kommunikation Finanzverwaltung, DATEV Meine Steuern, DATEV SmartExperts und DATEV Freizeichnung online. Im Cockpit bekommen sie zudem auf einen Blick alle wesentlichen Informationen aus den verschiedenen Anwendungen. So lassen sich Stammdaten zu Mandantinnen und Mandanten schnell suchen oder neue Interessentenanfragen aus DATEV SmartExperts anzeigen. Darüber hinaus sind auch anwendungsübergreifende Portalfunktionen zur Kollaboration in Entstehung, die beispielsweise den einfachen Nachrichtenaustausch, das Versenden von Dateien an andere Nutzerinnen und Nutzer des Portals oder das gemeinsame Erstellen und Bearbeiten von Aufgaben erlauben.

Wir arbeiten intensiv daran, in den Kanzleiprozessen mit unseren Lösungen nachhaltige Innovation und leistungsfähige Prozesse zu ermöglichen. Doch das reicht angesichts zunehmender Vernetzung und Digitalisierung von Geschäftsprozessen nicht. Unsere Antwort darauf ist – neben unseren Lösungen zu den Kernprozessen in den Kanzleien – eine enge Zusammenarbeit mit spezialisierten Partnern: der Ausbau unseres Ökosystems.

Aus unserer Perspektive ist dies ein strategisch wichtiges Element: Denn das Denken und Handeln in Ökosystemen verändert die Perspektive auf die Art, wie Wertschöpfung erbracht wird. Damit rücken verstärkt auch die Anforderungen in den Fokus, mit denen unsere Mitglieder durch die Bedarfe ihrer Kunden konfrontiert sind. Dabei kommen auch Bedarfe zutage, die wir nicht erfüllen können oder wollen – für die es aber hervorragende Lösungen im Markt oder in anderen Ökosystemen gibt. Wir entwickeln unser Ökosystem kontinuierlich so weiter, dass Partner ein attraktives Geschäftsmodell darin sehen, Software dafür zu entwickeln und anzubinden. Und ein Blick auf unseren DATEV-Marktplatz zeugt davon, dass die Attraktivität gegeben ist. Wir führen dort mittlerweile rund 230 Partnerlösungen. Um den Kanzleien einen besseren Überblick und Orientierung bei der Auswahl der passenden Lösungen für ihren individuellen Bedarf zu bieten, haben wir kürzlich die Möglichkeit eingeführt, dass Nutzer die Lösungen auf dem DATEV-Marktplatz bewerten. Dies wird mittlerweile auch sehr rege genutzt.

So entstehen Mehrwerte für alle: Die Partner bringen ihr Portfolio und ihre Innovationskraft ein, sodass sich daraus in der Kooperation neue Geschäftsmodelle entwickeln können. Wir können mit einem attraktiven Ökosystem unser Leistungsportfolio ergänzen, um so vielseitiger, flexibler, schneller und schlagkräftiger zu werden. Die Kunden erhalten vernetzte Angebote, Dienstleistungen und Produkte, die ihren Alltag vereinfachen. Allerdings erwarten sie im Ökosystem ähnlich integrierte Prozesse wie in unserer eigenen Produktwelt. Wir arbeiten daher intensiv daran, für die Kanzleien ein bestmögliches Integrationserlebnis zu schaffen und verstehen in diesem Sinne unser Ökosystem als Teil der Weiterentwicklung unseres Produktportfolios.

Wenn ich von Integrationserlebnis spreche, lassen Sie mich dies an einem Beispiel darstellen. Der elektronische Rechnungsversand setzt sich in der Wirtschaft und Verwaltung zunehmend durch. Die einfachste Version ist der Versand eines PDFs per E-Mail. Sie ermöglicht eine sofortige Zustellung bei gleichzeitiger Einsparung von Papier- und Portokosten. Allerdings ist dies keine wirklich elektronische Rechnung: Denn es werden keine strukturierten Daten hinterlegt, die eine direkte automatisierte Weiterverarbeitung beim Empfänger ermöglichen. Dies erlaubt eine richtige E-Rechnung, für die es mittlerweile verschiedene Standards gibt. Die bekanntesten sind ZUGFeRD oder XRechnung. Doch es gibt noch viele weitere, teilweise branchenspezifische Standards. Und diese Vielzahl macht es auch schwer, stets das richtige Format für den Rechnungsempfänger zu wählen. Mit DATEV SmartTransfer automatisieren wir diesen Prozess: Die Rechnung wird in jedem beliebigen rechnungsschreibenden Programm oder Warenwirtschaftssystem erstellt und an SmartTransfer übergeben. Wenn der Empfänger die Rechnung abruft, wird sie automatisch in das Format konvertiert, das er für die Weiterverarbeitung benötigt. So entsteht ein durchgängiger Prozess nicht nur über Unternehmensgrenzen, sondern auch über verschiedene Rechnungsstandards hinweg. Um Ihnen ein Gefühl für die Dimension zu geben: 2021 wurden über SmartTransfer mehr als 3,32 Millionen Dokumente ausgetauscht.

Vor diesem Hintergrund möchte ich noch ein paar Worte zur aktuellen politischen Debatte über ein künftiges Modell zur Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug sagen. Europaweit haben sich seit 2010 unterschiedliche Systeme zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs ausgeprägt: Clearance-, Tax-Reporting-, Blockchain- und Split-Payment-Modelle. Auch die neue Bundesregierung möchte zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs laut Koalitionsvertrag „ein elektronisches Meldesystem bundesweit einheitlich einführen, das für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen verwendet wird“. Das WIE wird aktuell und in den kommenden Monaten diskutiert und definiert werden.

Unser Wunsch ist, dass ein solches System auf bereits bestehenden Strukturen aufbaut, um den Aufwand für die Wirtschaft gering zu halten. In Deutschland gibt es in Teilen der Wirtschaft bereits seit vielen Jahren durchgängig digitale Prozesse rund um die E-Rechnung, beispielsweise unser genanntes DATEV SmartTransfer. Diese dezentralen Prozesse sind etabliert. Sie bieten sich an, um darauf ein Clearance-System aufzubauen. Das trifft ebenso auf die E-Rechnungsformate selbst zu. Ich hatte ZUGFeRD und XRechnung genannt, die beide bereits die EU-weiten Anforderungen erfüllen. Es wäre insofern wünschenswert, wenn die Bundesregierung hier schnell eine Position entwickelt. Denn bei der EU-Kommission werden bereits Pläne für ein mittelfristig harmonisiertes System entwickelt – zumindest für grenzüberschreitende, innergemeinschaftliche Umsätze. Denn die individuellen Maßnahmen der Einzelstaaten wirken derzeit nur gegen nationalen Mehrwertsteuerbetrug, sie funktionieren nicht in grenzüberschreitenden Szenarien. Es wäre wichtig, dass sich Deutschland mit einer klaren Position in die Planungen in Brüssel einschaltet, damit die Interessen der deutschen Wirtschaft dort auch adäquat berücksichtigt werden. Und damit eine Harmonisierung oder zumindest Kompatibelmachung von EU-weiten und nationalen Systemen so weit wie möglich erfolgt.

Unter anderem dieses Beispiel der E-Rechnung zeigt: Digitale Geschäftsprozesse und in der Folge auch datenbasierte Geschäftsmodelle prägen die Wirtschaft immer mehr. Diese werden jedoch nur von Nutzerinnen und Nutzern akzeptiert, wenn sie wissen, was mit ihren Daten passiert. Es geht um den vertrauenswürdigen Umgang mit Daten und Transparenz hinsichtlich ihrer Verwendung. Dieser vertrauenswürdige Umgang mit Daten, das ist seit jeher einer unserer Kernwerte! Und bei diesen DATEV-Werten setzen wir an, wenn wir uns mit Datenethik auseinandersetzen. Datenethik, das bedeutet für uns: Der Mensch steht im Zentrum – insbesondere bei neuen Technologien.

Deswegen setzen wir uns für den Austausch zwischen allen Beteiligten ein: unseren Mitarbeitenden, Mitgliedern, Kundinnen und Kunden, Partnerunternehmen sowie weiteren Nutzerinnen und Nutzern. Bei Cloud-Lösungen, Chatbots und KI überlegen wir mit ihnen zusammen: Wie behalten Nutzerinnen und Nutzer eine gute Übersicht? Ist nachvollziehbar, wie innovative Lösungen Daten verarbeiten? Welche Werte spielen hier eine Rolle? Das sogenannte value-based Engineering – also: werteorientierte Produktentwicklung – ist ein wichtiges Stichwort im Rahmen der digitalen Verantwortung. Datenethik bei DATEV bezieht dies mit ein. Wir wollen unsere Werte – vertrauenswürdig, partnerschaftlich, leistungsstark, führend – in den Produkten sichtbar machen und vorbildlich leben. Neue Normen² eröffnen Möglichkeiten, in unseren Netzwerken und mit unseren Partnern hierzu im Gespräch zu bleiben. Basis dafür bietet unsere DATEV Datenethik-Leitlinie: Hier übernehmen wir eigenmotiviert Verantwortung. Ich bin stolz, dass Datenethik bei DATEV auch öffentliche Anerkennung erfährt: Unser Engagement für Datenethik und Corporate Digital Responsibility wurde 2021 mit dem 1. Platz des CDR Award gewürdigt.³

Der werteorientierte Ansatz in der Produktentwicklung zeigt eine Facette, wie wir Genossenschaft verstehen und leben. Ein weiterer Aspekt ist die große Verbundenheit mit unseren Mitgliedern: Wir sind nicht nur ihr IT-Dienstleister, sondern stehen ihnen auch in wesentlichen berufsständischen Entwicklungen zur Seite.

Dies tun wir ganz aktuell beispielsweise im Rahmen der Steuerberaterplattform. Mit dem im August 2017 in Kraft getretenen Onlinezugangsgesetz (OZG) ist klar: Bis Ende 2022 soll die deutsche Verwaltung flächendeckend digitalisiert sein – und das gilt auch für die Steuerberaterkammern als öffentlich-rechtliche Institutionen. Digitale Identitäten sowie Stellvertreterfunktionen und Mandate müssen möglichst bald in digitalen Ökosystemen abgebildet werden. Dabei liegen sowohl die Verwaltung der Berufsträgereigenschaft als auch die Verwaltung von Vollmachten von beziehungsweise für Mandanten in der Hand der Kammern.

Es freut mich sehr, dass sich die Bundessteuerberaterkammer im Rahmen ihrer Ausschreibung zum Aufbau der ersten Stufe einer Steuerberaterplattform für DATEV als technischen Dienstleister entschieden hat. Als genossenschaftlicher IT-Dienstleister des Berufsstands werden wir unsere Leistungsfähigkeit und unsere jahrzehntelange Erfahrung in dieses, für den Berufsstand wichtige, Projekt einbringen. Als erste Stufe wird das Steuerberaterpostfach am 1. Januar 2023 in Betrieb gehen. Die Zugriffsberechtigung wird über die eID-Funktion des Personalausweises abgesichert. Mit der Errichtung dieses besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs – beSt – schafft die Bundessteuerberaterkammer die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für eine eindeutige, anerkannte und damit vertrauenswürdige digitale Adresse für alle Steuerberaterinnen und Steuerberater.

Als Genossenschaft sind wir also mehr denn je gefragt, den Wandel zu gestalten und Lösungen für die großen Aufgaben im Berufsstand zu finden. Dies betrifft beispielsweise auch die Entwicklung zukunftsfähiger Leistungen im Bereich der Nachhaltigkeit. Die Wirtschaft wird vom Gesetzgeber zunehmend gefordert, Nachhaltigkeitsaspekte im sozialen, ökologischen und ökonomischen Bereich zu erfüllen. Grundlage bilden dabei die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen, denen sich die EU mit dem Green Deal und die Bundesregierung mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie verpflichtet haben. Mit der EU-Taxonomie ist zu Jahresbeginn ein wesentlicher Eckpfeiler für die Steuerung des nachhaltigen Umbaus der europäischen Wirtschaft entstanden – wenngleich man an der ein oder anderen Stelle sicher über die konkrete Ausgestaltung diskutieren kann.

Worauf ich hinaus will: Der Umbau der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit wird von Endverbraucherinnen und Endverbrauchern vehement gefordert und vom Gesetzgeber mit zunehmendem Druck vorangetrieben. Praktisch alle Unternehmen werden früher oder später von zusätzlichen Anforderungen und gegebenenfalls erweiterten Berichtspflichten betroffen sein. Gerade für mittelständische Unternehmen sind ihre steuerlichen Beraterinnen und Berater daher ganz wichtige Partner, um die neuen Anforderungen zu verstehen und umzusetzen. Wir bauen deswegen aktuell verschiedene Leistungsangebote auf, um unsere Mitglieder auf diese neue Herausforderung vorzubereiten und sie zu unterstützen:

Momentan liegt der Fokus auf Kommunikation und Sensibilisierung. Wir informieren in unseren genossenschaftlichen Kommunikationskanälen kontinuierlich über aktuelle regulatorische Entwicklungen im Bereich Nachhaltigkeit und fördern den Austausch zu diesen Themen mit und unter den Mitgliedern. Und eins kann ich schon mal festhalten: Das Interesse ist enorm.

Für Kanzleien, die nun den nächsten Schritt machen und aktiv in die Beratung ihrer Mandanten hinsichtlich ESG-Themen einsteigen wollen, haben wir im Mai erstmals ein Dialogseminar mit dem Titel „Die nachhaltige Steuerberatungskanzlei –ökologisch, ökonomisch und sozial“ angeboten. Inhaltlich bietet das Seminar einen breit gefächerten Blick zur nachhaltigen Gestaltung sowohl der eigenen Kanzlei wie auch der Geschäftsbeziehungen mit Dritten sowie zu konkreten Beratungsangeboten für Mandanten im Bereich ESG. Die ersten beiden durchgeführten Seminare waren komplett ausgebucht, und auch die nächsten drei Termine sind bereits voll.

Nachhaltigkeit steht ganz offensichtlich auch bei den Kanzleien auf der Agenda sehr weit oben – und meines Erachtens zurecht. Wir werden an unserem Angebot für Mitglieder weiterhin arbeiten, die nächsten Angebote und Werkzeuge sind bereits in Arbeit. So haben wir beispielsweise Klimaprofis im Consulting ausgebildet, die dafür sorgen werden, dass in individuellen Beratungsgesprächen Nachhaltigkeit in allen Aspekten integriert ist und Kanzleien so auf wichtige gesetzliche Anforderungen, aber auch eigene Nachhaltigkeitsmaßnahmen hingewiesen werden.

Lassen Sie mich an dieser Stelle zum Ende meines Vortrags kommen. Wir sehen deutlich, dass die Herausforderungen für Wirtschaft und Berufsstand angesichts der vielen sich überlagernden Krisen enorm sind. Für die Kanzleien entsteht aus dieser Situation eine hohe bis sehr hohe Arbeitsbelastung, zum Teil noch im Zusammenhang mit den Corona-Wirtschaftshilfen; aber mit der Grundsteuerreform zeichnet sich bereits das nächste große Thema ab. Diese Arbeitsbelastung birgt aus meiner Sicht eine große Gefahr: Wir wissen, dass Digitalisierung für die Zukunftsfähigkeit und Resilienz von Unternehmen und Kanzleien eine ganz große Bedeutung hat.

Wenn nun angesichts der notwendigen akuten Krisenbewältigung strategisch wichtige Digitalisierungsprojekte auf die lange Bank geschoben werden, ist das zwar nachvollziehbar, aber gefährlich. Deswegen unterstützen wir die Kanzleien mit allen uns verfügbaren Mitteln, um den Umgang mit diesen Themen möglichst effizient zu gestalten – und gleichzeitig agieren wir als verlässlicher Partner unserer Mitglieder und Kunden, indem wir unser Lösungsportfolio weiterentwickeln und dabei stets den Blick auf zukunftsfähige Geschäftsprozesse und -modelle für die Kanzleien und den Berufsstand richten. Dies wirkt sich positiv auf unsere nachhaltige wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklung aus.

Doch dies wird Ihnen nun Diana Windmeißer vorstellen. Ich danke herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und übergebe Diana das Wort.

¹Abhängig von den lizenzierten Anwendungen.

²IEEE 7000™-2021: „Integrating ethical and functional requirements to mitigate risk and increase innovation in systems engineering design and development

³Aus der Begründung für die Preisverleihung: „Datenethik bedeutet nicht nur, Regeln aufzustellen, sondern auch, Standards und Bewusstsein von innen heraus und mit den Mitarbeitenden (weiter) zu entwickeln. Das Projekt soll alle Mitarbeitenden befähigen, datenethische Entscheidungen bewusst in die Unternehmensprozesse integrieren zu können, Handlungssicherheit zu erhalten und im Austausch mit den Mitgliedern der Genossenschaft Datenethik zu stärken. Bei diesem umfassenden Konzept war sich die Jury einig: Der erste Platz in der Kategorie „CDR und Mitarbeitende“ geht an die Datev eG“, Dr. Marie Blachetta, D21, Sprecherin der Jury-Gruppe II „CDR und Mitarbeitende“

Die Rede zum Download

Erschienen:
08.07.2022
Dateiname:
Rede Dr. Robert Mayr
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