Die wirtschaftliche Lage der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ist nach wie vor angespannt. Das zeigen die Zahlen des DATEV Mittelstandsindex. Zwar hat sich die Inflation zuletzt leicht abgeschwächt, doch hohe Zinsen, volatile Energiepreise, anhaltende geopolitische Spannungen von der Ukraine bis zum Nahen Osten und die trotz der Einigung mit der EU erratische Zollpolitik der USA führen zu Unsicherheit und dämpfen Investitionen. Auch das Konsumklima bleibt verhalten, viele Haushalte sparen. Für den Mittelstand bedeutet das: dünnere Margen, ein zunehmend schwieriges Marktumfeld, steigende Kosten auch fürs Personal – und zum 1. Januar 2026 wird zudem der Mindestlohn erhöht. Die wirtschaftliche Resilienz des Mittelstands wird auf eine harte Probe gestellt.
Datenbasierter Realitätscheck
Seit September 2024 liefert der DATEV Mittelstandsindex monatlich datenbasierte Einblicke in die konjunkturelle Lage der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland. Die Basis sind Echtzeitdaten aus rund einer Million Umsatzsteuervoranmeldungen sowie mehr als acht Millionen Lohn- und Gehaltsabrechnungen. Damit unterscheidet sich der DATEV Mittelstandsindex deutlich von vielen anderen Wirtschaftsbarometern: Er basiert nicht auf Umfragen oder Modellannahmen, sondern auf konkreten Geschäftszahlen.
Der DATEV Mittelstandsindex macht sichtbar, was Steuerberaterinnen und Steuerberater längst spüren und gibt ihren Praxiserfahrungen ein datenbasiertes Gewicht in der wirtschaftspolitischen Debatte.
Im Mai 2025 schien sich erstmals seit zwei Jahren ein Aufwärtstrend abzuzeichnen: Die Umsätze der KMU stiegen gegenüber dem Vorjahresmonat um 2,8 Prozent. Doch die Erholung war nur von kurzer Dauer. Im Juni fiel der Umsatzindex bereits wieder um 5,5 Prozent; besonders betroffen waren das Bauhauptgewerbe, das verarbeitende Gewerbe und der Handel. Gleichzeitig stiegen Löhne und Gehälter weiter, was die Belastung verschärft. Die Beschäftigung stagniert: Während mittlere Unternehmen Stabilität zeigen, schrumpfen Belegschaften vor allem bei kleinen und Kleinstbetrieben.
Positive Ausnahmen in einigen Regionen
Regionale Detailanalysen des ersten Quartals 2025 zeigen jedoch auch positive Ausnahmen. In Landkreisen wie Straubing oder Frankfurt/Oder treiben gezielte Investitionen das Wachstum voran, während andere Regionen wie Emden ins Minus rutschen. Auch branchenbezogen ist das Bild differenziert: In Finanzwirtschaft, Gesundheit und Teilen der Industrie zeigt sich eine positive Dynamik. Die Entwicklung bei Bau, Energie und Logistik hingegen bleibt verhalten.
DATEV-CEO Prof. Dr. Robert Mayr sieht im Index einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftspolitischen Debatte: „Besonders überrascht hat mich, wie klar der DATEV Mittelstandsindex die strukturellen Unterschiede innerhalb des Mittelstands aufzeigt, etwa zwischen sich stabilisierenden mittleren Unternehmen und stark unter Druck stehenden Kleinstbetrieben. Diese Differenzierung fehlt in vielen klassischen Konjunkturberichten. Der Index hat die Wahrnehmung verändert: Er macht sichtbar, was viele Steuerberaterinnen und Steuerberater aus ihrer Praxis längst wissen, und gibt ihren Beobachtungen erstmals belastbare Daten an die Hand.“
Zugleich mache er auf politischen Handlungsbedarf aufmerksam: „Politisch braucht es mehr Fokus auf die Kleinen bei Bürokratieabbau, Digitalisierung und gezielter Standortförderung“, sagt Mayr. „Wirtschaftlich geht es darum, Investitionen in Regionen und Branchen mit Potenzial gezielt zu fördern. Der Mittelstandsindex liefert dafür eine belastbare Grundlage. Denn wer die Frühindikatoren des Mittelstands ernst nimmt, kann wirtschaftspolitisch klüger und vorausschauender handeln.“
Entscheidend sei jetzt, diese Erkenntnisse ernst zu nehmen: weniger Gießkanne, mehr Maßarbeit bei Förderung, Bürokratieabbau und regionaler Wirtschaftspolitik. Wer auf den Mittelstand setze, müsse ihn auch verstehen – in all seiner Heterogenität.
Überfällige Stimme für kleine Firmen
Für den DATEV-Chefökonomen Dr. Timm Bönke ist der Mittelstandsindex „ein Frühwarnsystem und eine längst überfällige Stimme für den oft übersehenen Teil der deutschen Wirtschaft“. Seit dem Frühjahr 2023 habe sich die Lage vieler kleiner und mittlerer Unternehmen deutlich schlechter entwickelt als die der Gesamtwirtschaft. „Unsere Daten zeigen Umsatzrückgänge von bis zu zehn Prozent. Das ist eine Realität, die in klassischen Indikatoren häufig untergeht.“ Besonders die gegenläufige Entwicklung von Umsätzen und Löhnen hält Bönke für alarmierend.
Kleinstbetriebe in Gastronomie und stationärem Handel verzeichnen Umsatzverluste von bis zu 20 Prozent. „Der Mittelstandsindex zeigt differenziert, wo es brennt – regional, branchenbezogen und nach Unternehmensgrößen. Das gibt Wirtschaft und Politik eine fundierte Grundlage, um gezielter zu handeln“, sagt Bönke.
Was bringt das zweite Jahr?
Der DATEV Mittelstandsindex hat sich als verlässliches Echtzeitbarometer etabliert – nun folgt der nächste Entwicklungsschritt. „Wir ermöglichen eine datenbasierte Einschätzung des deutschen Mittelstands – unabhängig von subjektiven Stimmungen. Das ist einmalig“, sagt DATEV-CEO Mayr. Künftig wird der Index um betriebswirtschaftliche Auswertungen erweitert: Anonymisierte Daten aus BWA sollen detaillierte Einblicke in Kosten- und Gewinnentwicklungen ermöglichen. Damit wird nicht nur die aktuelle Lage, sondern auch die Wertschöpfung im Mittelstand sichtbar – ein neuer Qualitätsmaßstab. „So können wir noch präziser erkennen, wo Unternehmen unter Druck stehen – und wie Politik und Beratung wirksam gegensteuern können“, so Mayr.
Auch regionale Auswertungen und neue Indikatoren sollen den Index weiter schärfen. In einem zunehmend volatilen Umfeld soll der Index helfen, Entwicklungen früher zu erkennen – und datenbasierte Entscheidungen zu fördern. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind nun gefordert, die Erkenntnisse des Mittelstandsindex nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch zum Anlass für gezieltes Handeln.