Viel zu viele Steuern, Pflichten und Regulierungen und allzu viel Bürokratie. Die Liste der Beschwerden ist lang. Die deutsche Industrie sendet seit langem Alarmsignale. Im dritten Jahr der Stagnation sind nun auch noch amerikanische Zölle hinzugekommen, die es der angeschlagenen Wirtschaft in Deutschland noch schwerer machen, wieder auf die Beine zu kommen. In vielen Branchen drohen die Betriebe in die Insolvenz zu fallen, ohne dies durch entsprechende Maßnahmen selbst verhindern zu können.
Good Bye Deutschland
Daher beabsichtigt die Deutsche Industrie vermehrt ins Ausland zu gehen. Das ist das Ergebnis der EY-Studie „Wirtschaftsstandort Deutschland 2024“, bei der bereits im Herbst letzten Jahres Top-Manager von 115 deutschen Industrieunternehmen befragt wurden. Demzufolge planen 45 Prozent der Betriebe neue Standorte außerhalb Deutschlands. Hierzulande will man kaum noch investieren. Mit einer Expansion ins Ausland wäre natürlich auch eine Verlagerung von Arbeitsplätzen verbunden. Knapp 30 Prozent der befragten Unternehmen gehen von einem Stellenabbau hierzulande aus. Viele Betriebe orientieren sich ins Ausland, um dort von besseren Rahmenbedingungen zu profitieren.
Dramatische Entwicklung
Die Industrie erstickt in einem Dschungel an Vorschriften und Reporting-Vorgaben. Hinzu kommen schwache Konjunkturaussichten auf dem Heimatmarkt aufgrund politischer Hürden beziehungsweise sehr hohen Steuern. Hauptgrund für das schwache Wirtschaftswachstum in Deutschland ist aus Sicht der befragten Manager aber die deutsche Bürokratie. 70 Prozent bezeichnen die regulatorischen Vorgaben als eines der wichtigsten Hindernisse für eine wirtschaftliche Erholung. Vor allem Genehmigungsverfahren ziehen sich oft unendlich lang hin. Wer in Deutschland investieren will, muss viel Zeit und Geduld mitbringen. Daher wollen die Unternehmen dahin gehen, wo man ihnen schnell und unbürokratisch hilft: ins Ausland. An dieser Stelle muss die Politik ansetzen: Vorschriften entrümpeln und Genehmigungen beschleunigen. Andernfalls werden in den kommenden Jahren hierzulande definitiv Arbeitsplätze verloren gehen.
Blick von außen
Auch weltweit hat der Wirtschaftsstandort Deutschland an Anziehungskraft eingebüßt. Dies ist das Ergebnis einer Befragung der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) mit Unterstützung der deutschen Auslandshandelskammern (AHK), die bei deren Mitgliedsunternehmen durchgeführt wurde. Danach hat sich das Image von Deutschland als Top-Wirtschaftsstandort aus internationaler Sicht in den vergangenen fünf Jahren stark eingetrübt. Bei der Befragung, an der über 1.250 Unternehmen aus verschiedenen Regionen der Welt teilnahmen, vertrat knapp die Hälfte der Betriebe die Meinung, dass sich das Image Deutschlands verschlechtert beziehungsweise sogar stark verschlechtert habe. Besonders kritisch sahen dies Unternehmen aus der Eurozone und der Asien-Pazifik-Region sowie in China. Der Blick von außen entlarvt die nationale Betriebsblindheit. Daher ist es nun höchste Zeit, dass sich die deutsche Politik wieder auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland konzentriert. Dafür müssen jedoch die Standortfaktoren entscheidend verbessert werden.
Wirtschaftsfreundlichkeit ist mangelhaft
Laut der DIHK-Umfrage haben über ein Drittel der ausländischen Unternehmen die Wirtschaftsfreundlichkeit Deutschlands als mittelmäßig bewertet, mehr als ein Viertel empfindet sie sogar als wirtschaftsfeindlich. Allein dies sollte ein klares Alarmsignal für den nationalen Gesetzgeber sein. Und auch bei der Innovationskraft – ein entscheidender Erfolgsfaktor für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland – gab es Bedenken. Zwar loben 46 Prozent der befragten Unternehmen Deutschlands Innovationsfähigkeit, doch ein Fünftel der Betriebe zweifelt daran, dass das Land innovationsfreundlich genug ist. Besonders besorgniserregend: Immer weniger Unternehmen empfehlen Investitionen in Deutschland. Nur 43 Prozent sprachen sich dafür aus, 32 Prozent blieben neutral, aber jeder vierte Betrieb hat von Investitionen in Deutschland sogar abgeraten.
Handlungsbedarf
Die DIHK-Umfrage macht deutlich, wo Unternehmen im Ausland mit Blick auf den Wirtschaftsstandort Deutschland Handlungsbedarf sehen: Man erwartet weniger Bürokratie, verlässlichere politische Entscheidungen und eine stärkere Willkommenskultur für Unternehmen und Fachkräfte. Auch aus Sicht der deutschen Industrie ist das Fehlen ausreichend qualifizierter Mitarbeitern eine mit entscheidende Wachstumsbremse. Der nationale Gesetzgeber muss daher im angekündigten „Herbst der Reformen“ endlich die notwendigen Hausaufgaben zur Verbesserung der Standortbedingungen machen – andernfalls droht eine Abwanderung der Betriebe ins Ausland, was für den Wirtschaftsstandort Deutschland heißen würde: weniger Umsatz, weniger Arbeitsplätze und weniger Investitionen.