Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen – mit diesem afrikanischen Sprichwort eröffnet Kenza Ait Si Abbou ihren Vortrag beim DATEV-Kongress. Sie überträgt es auf die KI-Entwicklung: Wenn künstliche Intelligenz (KI) eine verantwortungsvolle Rolle in unserer Gesellschaft einnehmen soll, braucht es den Einsatz vieler – von Entwicklerinnen über Unternehmen bis hin zu uns allen als Nutzern.
Für die Technologieethik-Expertin ist klar: KI ist kein neutrales Werkzeug. Sie wird auf der Basis von Daten trainiert, die menschliche Vorurteile und gesellschaftliche Verzerrungen enthalten – oft unbewusst, aber mit großer Wirkung. So entstehen Systeme, die Menschen mit dunkler Hautfarbe schlechter erkennen oder Frauen bei der Vergabe von Krediten benachteiligen. Das kann gravierende Folgen haben – nicht nur für Betroffene, auch für die Glaubwürdigkeit digitaler Prozesse.
Gerade Berufsgruppen wie Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte sind davon betroffen. Denn ihre tägliche Arbeit erfordert Vertrauen, Genauigkeit und Verantwortung. Wer KI einsetzt, muss verstehen, wie die Systeme „denken“, wie ihre Ergebnisse zustande kommen – und wann menschliche Kontrolle unerlässlich bleibt.Ait Si Abbou fordert deshalb Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Fairness als Leitplanken für jede KI-Anwendung. Der neue AI Act der EU sei ein wichtiger Schritt, weil er Anforderungen klar benenne – und so Orientierung biete. Entscheidend bleibe aber die Haltung: „Digitale Verantwortung beginnt bei jedem von uns.“ Denn auch Klicks, Likes und Teilungen beeinflussen, wie Algorithmen lernen. Ihr Appell: Nicht passiv zuschauen – sondern selbstbewusst mitgestalten.
Kenza Ait Si Abbou
Die Elektroingenieurin zählt zu den profiliertesten Stimmen in der deutschen Tech-Öffentlichkeit. In Vorträgen, Büchern und Podcasts engagiert sie sich für eine ethische, gerechte und menschenzentrierte Digitalisierung. Sie berät Unternehmen beim Einsatz künstlicher Intelligenz und die Politik zu gesellschaftlichen Fragen im Zusammenhang mit KI.
Wenn es um künstliche Intelligenz geht, denken viele an ChatGPT, an Maschinen, die Texte schreiben oder Gesichter erkennen. Dr. Léa Steinacker, Innovationsforscherin und KI-Kommunikatorin, blickt tiefer und weiter. Auf dem DATEV-Kongress nimmt sie ihr Publikum mit auf eine Zeitreise: von den frühen KI-Träumen in antiken Texten über Ada Lovelace, die erste Programmiererin der Geschichte, bis zu heutigen Agentensystemen, die Aufgaben eigenständig ausführen.
Ihr Plädoyer: Wir brauchen keine Angst vor Maschinen, sondern ein neues Selbstverständnis im Umgang mit ihnen. Steinacker nennt das Co-Intelligenz – eine Zusammenarbeit von Mensch und Maschine, bei der beide ihre Stärken einbringen. „KI ist kein Zauberwesen“, sagt sie, „sondern eine statistische Wahrscheinlichkeitsmaschine.“ Genau das eröffne neue Möglichkeiten: Systeme, die uns bei komplexen Entscheidungen unterstützen, die Muster in Daten erkennen oder sogar neue Ideen generieren, etwa in der medizinischen Forschung oder bei der Produktentwicklung.
Doch Steinacker warnt auch vor blinder Technikgläubigkeit. Ihre zentrale Botschaft lautet: Nur wer versteht, wie KI funktioniert, kann sie sinnvoll einsetzen. Die Technologie sei weder neutral noch objektiv. Sie beruhe auf Trainingsdaten – und damit auch auf menschlichen Vorurteilen. „Deshalb müssen wir lernen, kritisch zu hinterfragen, was uns die Maschine liefert – und wann unsere eigene Urteilskraft gefragt ist.“
Steinacker zeigt eindrucksvoll, wie KI-Systeme bereits heute Arbeitsprozesse unterstützen können – etwa bei der Textgenerierung, Datenanalyse oder Mandatsvorbereitung. Dabei gehe es nicht um Automatisierung um jeden Preis, sondern um intelligente Assistenz. Wer diese Tools richtig einsetzt, steigert nicht nur die Effizienz, sondern gewinnt auch Freiraum für komplexere Aufgaben.
Ihr Fazit: Die Zukunft gehört nicht der künstlichen Intelligenz allein – sondern der klugen Verbindung von Technik und Menschlichkeit.
Dr. Léa Steinacker
Die promovierte Sozialwissenschaftlerin ist Mitgründerin und Chief Innovation Officer von ada, einer Plattform für digitalen Wandel und Zukunftskompetenzen. Sie beschäftigt sich mit der gesellschaftlichen Wirkung von Technologie – insbesondere von KI. Als Rednerin, Journalistin und Autorin plädiert sie für einen verantwortungsvollen Umgang mit Innovation – und für eine selbstbewusste Mitgestaltung der digitalen Zukunft.
Mehr aus dem DATEV magazin 09/2025
Künstliche Intelligenz unter Kontrolle: Europas neuer Rahmen für die KI
Mit der Verordnung über künstliche Intelligenz (AI Act) hat die Europäische Union ein weltweit einzigartiges Regelwerk für KI geschaffen. Als erstes umfassendes „KI-Gesetz“ zielt es darauf ab, eine wichtige Balance zu wahren: Einerseits soll Innovation gefördert werden, andererseits sollen die Grundrechte und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger vor den Risiken der Technologie geschützt werden. Die Verordnung gilt direkt in allen EU-Ländern.