Um zu verstehen, wie Sven Keller tickt, genügt ein Blick auf seinen virtuellen Bildschirmhintergrund während des Videotelefonats. Der Hintergrund ist schlicht gehalten, darauf steht nur ein einziger Satz: „Digital wird alles leichter.“
Es war unter anderem dieser zuversichtliche Blick auf den Wandel, der den Geschäftsführer der Treukontax Steuerberatungsgesellschaft und seine Kollegen dazu bewog, sich Mitstreiter zu suchen, um ein komplexes Problem zu lösen: die Entwicklung einer spezialiserten Softwarelösung für Kanzleien, die auf Mandanten in der Land- und Forstwirtschaft spezialisiert sind. Für keinen anderen Wirtschaftszweig kennt das Steuerrecht so viele Sonderregeln und Spezialvorschriften, die von Standardprogrammen nur unzureichend abgedeckt werden. Viele existierende Speziallösungen hingegen sind veraltet und mit gängiger Steuersoftware nicht kompatibel. Und so schloss sich Treukontax mit gleich gesinnten Kanzleien zusammen, um DATEV von einem gemeinsamen Entwicklungsprojekt zu überzeugen.
„Wir müssen den Herausforderungen der Digitalisierung und Automatisierung gerecht werden und haben festgestellt, dass wir das mit unserem eigenen Bestandsprogramm nicht können“, sagt Keller. Aus dieser Erkenntnis sei der Mut erwachsen, das Thema völlig neu zu denken. So entstand der Business Case Land- und Forstwirtschaft (LuF). Seither ist viel passiert.
„Uns war anfangs nicht klar, welche Herausforderungen dieser Change mit sich bringt, wie tief sich dieser Wandel in die Organisation gräbt“, sagt Keller und macht keinen Hehl daraus, dass das Ziel noch nicht erreicht ist. „Wir wachsen weiter mit der Aufgabe, auch weil wir sehen, dass unter jedem Stein, den wir anheben, drei kleinere Steine liegen, die wir ebenfalls angehen müssen.“
Zehntausende Leistungen angepasst
Der größte Stein bei der Umstellung auf die neue DATEV-Software liegt aktuell vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Treukontax. „Wir stellen unsere knapp 40.000 landwirtschaftlichen Gewinnermittlungen von unserem kanzleiinternen Kontenrahmen auf den SKR 14 von DATEV um“, so Keller. Dafür wurden Schulungskonzepte ausgerollt, aber auch Unterstützungskräfte an Bord geholt, die vor allem administrative Tätigkeiten wie die Leistungsanlage übernehmen. „Wir sprechen über Zehntausende Leistungen, die angelegt, bei denen die richtigen Einstellungen vorgenommen und die Stammdaten gepflegt werden müssen“, sagt Karl-Heinz Haslbeck, ebenfalls Geschäftsführer bei Treukontax und für Personal, Finanzen und Controlling zuständig.
Damit die Motivation nicht leidet, werden auch Etappenziele gefeiert. „In diesem Jahr haben wir ein großes Event mit allen Beschäftigten veranstaltet – als Dankeschön und auch als Mutmacher für die nächsten anderthalb Jahre“, so Geschäftsführer Keller.
Tägliche Effizienzgewinne
Denn diese Zeit bis zum geplanten Abschluss des Projekts werde noch mal „heiß“, prophezeien Haslbeck und Keller. Unter anderem müssten bis dahin auch die Mandanten mit- und umziehen. „Wir schauen mit Respekt und Zuversicht auf die kommenden Monate. Letztlich durchleben wir nicht nur einen technologischen, sondern auch einen kulturellen Wandel“, sagt Haslbeck. So stellt Treukontax alle aktiven Betriebe auf Offene-Posten-Buchhaltung um, was in der Landwirtschaft bisher eher die Ausnahme war als die Regel. Das Ziel ist, alle offenen Buchungen systematisch zu verfolgen und durch frühzeitiges Erkennen von Zahlungsverzögerungen das Liquiditätsrisiko zu minimieren.
Die Mitarbeiter seien höchst engagiert und lernbereit, lobt Haslbeck. „Wir sehen, dass die Kanzleien, die schon gut in den neuen Prozessen drin sind, nahezu täglich an Effizienz gewinnen.“
Vorstand und Geschäftsleitung von DATEV betrachten den Aufbau eines spezialisierten Angebots für die Land- und Forstwirtschaft als Investition in die Zukunft. „Trotz der damaligen Herausforderungen im Bereich Technologie und Portfolioentwicklung war es unser Ziel, die Digitalisierung, Automatisierung und Workflow-Unterstützung in den Geschäftsprozessen unserer Mitglieder nachhaltig zu stärken – und damit den Mehrwert für deren Mandanten gezielt auszubauen“, sagt Prof. Dr. Christian Bär, Chief Technology Officer bei DATEV. Dass die Partnerschaft von allen Beteiligten Mut, Zuversicht und jede Menge Engagement erfordert, ist Bär und seinen Vorstandskollegen bewusst. „Die Kanzleien vertrauen darauf, dass wir als DATEV unsere Versprechen fristgerecht einhalten, denn sie schulen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf DATEV und stellen ihre IT-Infrastruktur um. Damit geben die Kanzleien uns einen Vertrauensvorschuss.“ Bär ist überzeugt, dass sich die gemeinsame Investition auszahlen wird: „Die Entscheidung wurde belohnt, indem sich viele andere Kanzleien angeschlossen haben.“
Vertrauen in eine gemeinsame Vision
Claudie Lohneiß aus dem Workstream Accounting Solutions und Mario Stoll aus dem Außendienst sind „Mrs. und Mr. Business Case LuF“ bei DATEV. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen haben sie nach der Anfrage von Treukontax Gespräche geführt, Möglichkeiten sondiert und eine Entscheidungsvorlage für den Vorstand auf den Weg gebracht. „Gestartet sind wir mit 16 engagierten Kanzleien als Entwicklungspartnern, heute begleiten uns bereits 21. Für uns ist das ein starkes Zeichen für das Vertrauen in unsere gemeinsame Vision“, sagt Stoll.
Besonders wertvoll sei der direkte Austausch: „Unsere Partner liefern schnelles, präzises und fachlich fundiertes Feedback zu den Entwicklungsständen unserer Arbeitspakete.“ Für Stoll liegt der Nutzen der Entwicklungspartnerschaft vor allem in der gleichberechtigen Teilnahme. „Dadurch entsteht ein echter Innovationsprozess auf Augenhöhe – mit direkter Rückkopplung aus der Praxis. So stellen wir sicher, dass unsere Lösungen nicht nur technologisch überzeugen, sondern auch den Anforderungen im Kanzleialltag gerecht werden.“
Ein bedeutender Meilenstein entsteht derzeit mit einer mobilen Cloudlösung, die Landwirte bei Inventuren vor Ort unterstützt, etwa bei der Erfassung von Tieren und Flächen. Diese technologische Innovation vereinfacht nicht nur die Datenerfassung, sondern ermöglicht auch eine nahtlose und medienbruchfreie Weitergabe an die Steuerberatungskanzlei.
Auch Claudia Lohneiß blickt optimistisch auf den Status quo und die nächsten Etappen: „Wir sind sehr zufrieden mit den bisherigen Ergebnissen. Unsere Mitglieder profitieren bereits heute von konkreten Verbesserungen.“ Dazu zählt sie beispielsweise optimierte Prozesse bei der Datenweitergabe vom Jahresabschluss zur Einkommensteuer sowie zur gesonderten und einheitlichen Feststellung, insbesondere bei abweichenden Wirtschaftsjahren und der Anlage L für Land- und Forstwirtschaft.
Zahl der Mandate verdoppelt
Auch der neue Datenservice Export Rechnungswesen stehe Kanzleien in der Entwicklungspartnerschaft bereits zur Verfügung und werde nun schrittweise funktional für alle anderen Mitglieder ausgerollt. „Diese Optimierungen zeigen bereits eine deutliche Wirkung“, resümiert Lohneiß. „Seit dem Start des Business Case Land- und Forstwirtschaft hat sich die Zahl der Mandate, die mit unserer Lösung gebucht werden, verdoppelt.“
Wie alles begann
..., lesen Sie im DATEV magazin 10-2024: Seite an Seite für Feld und Flur
Die Kanzlei
Die Kanzleigruppe Treukontax ist eine der größten Steuerberatungsgesellschaften Deutschlands. Das Unternehmen ist eine Tochter des Bayerischen Bauernverbands mit Sitz in München. Es beschäftigt 1.750 Mitarbeiter an 72 Standorten in Bayern, Sachsen und Thüringen. Neben land- und forstwirtschaftlichen Betrieben und Agrardienstleistern zählen auch Firmen aus dem Handwerk, dem Bereich der erneuerbaren Energien sowie dem Hotel- und Gaststättengewerbe zu den Mandanten.
Karl-Heinz Haslbeck
Geschäftsführer für Personal, Finanzen und Controlling, Treukontax Steuerberatungsgesellschaft
Sven Keller
ist einer von drei Geschäftsführern der Treukontax Steuer-beratungsgesellschaft. Zuvor war er für die Max-Planck-Gesellschaft und die bayerische Finanzverwaltung tätig.