TKC und DATEV eint eine langjährige Freundschaft. Beide Unternehmen unterstützen den steuerberatenden Berufsstand – in Japan und hier – mithilfe von Softwarelösungen. Einmal im Jahr besuchen sie sich, um voneinander zu lernen und stellen dabei fest, dass sie mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen haben: Fachkräftemangel, E-Rechnung und KI. Wie geht Japan im Vergleich zu Deutschland damit um?

DATEV magazin: Ihre Gründungsidee, die Wahrung der Aufgaben und der beruflichen Stellung der Steuerberater sowie Vorbereitung auf zukünftige Anforderungen, gleicht dem Auftrag von DATEV im Dienst des steuerberatenden Berufsstands. Was war der Anlass der Gründung?

Masanori Iizuka: Mein Großvater, Dr. Takeshi Iizuka, der Gründer der TKC, besuchte 1962 als Mitglied einer Delegation japanischer Steuerberater die Vereinigten Staaten, um am 8. Weltkongress der Buchhalter teilzunehmen. Damals hatten die Banken in den USA landesweit begonnen, die Finanzbuchhaltung für KMU zu übernehmen und nahmen damit den amerikanischen Steuerberatungskanzleien Arbeit weg. Das alarmierte meinen Vater. Stand japanischen Kanzleien ähnliches bevor? Zurück in Japan fasste er den Plan, ein Rechenzentrum für Steuerberater zu errichten und gründete 1966 TKC. Durch die Vermittlung des italienischen Unternehmens Olivetti traf mein Großvater 1972 erstmals Dr. Heinz Sebiger. Sie tauschten sich über die Anforderungen des Steuerrechts in Japan, den USA und Frankreich aus. Damit begann eine Freundschaft, nicht nur zwischen den beiden Gründern, sondern auch zwischen beiden Unternehmen, die seit 53 Jahren währt. Das ist wunderbar!

Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen DATEV und TKC?

Prof. Dr. Robert Mayr: Uns verbinden ganz grundlegende Werte wie Partnerschaftlichkeit, Vertrauenswürdigkeit, Leistungsbereitschaft und Nachhaltigkeit, die sicher auch der Grund waren, warum die beiden Unternehmen, damals – vor über fünfzig Jahren – in Gestalt von Takeshi Iizuka, dem Großvater von Masanori, und Dr. Heinz Sebiger zusammengefunden haben. Wir hatten und haben die gleiche Unternehmensmission, den steuerberatenden Berufsstand bei seiner täglichen Arbeit zu unterstützen, indem wir auf Zukunftstechnologien setzen und diese für ihn zugänglich machen. TKC und DATEV sind gleich alt, beide sind jeweils 1966 gegründet worden. Wir machen also ganz ähnliche Unternehmensentwicklungen durch, zuallererst natürlich auf technologischer Ebene, wie etwa künstliche Intelligenz oder Cloudcomputing. Wir stehen vor ähnlichen Herausforderungen und haben in uns jeweils einen verlässlichen, vertrauenswürdigen Partner, mit dem sich auf Augenhöhe diskutieren lässt.

Sowohl Deutschlands als auch Japans Gesellschaft altert bei gleichzeitig geringer Geburtenrate. Der Fachkräftemangel ist für beide Länder eine große wirtschaftliche Herausforderung. Wie gehen Sie damit um? Und wie ist die Situation der Steuerberater?

Prof. Dr. Robert Mayr: Deutschland ächzt unter dem Fachkräftemangel. Die Bundesagentur für Arbeit prognostiziert, dass uns in gut zehn Jahren über sieben Millionen Arbeitskräfte weniger zur Verfügung stehen als heute. Und davon ist natürlich auch der steuerberatende Berufsstand betroffen. Dazu eine aktuelle Zahl: Laut KfW-ifo-Fachkräftebarometer sehen sich 73,6 Prozent der Unternehmen in der Steuer- und Rechtsberatung durch einen Fachkräftemangel in ihrer Geschäftstätigkeit behindert. Aus diesem Grund haben wir zusammen mit der Bundessteuerberaterkammer und dem Deutschen Steuerberaterverband eine gemeinsame Fachkräfteinitiative ins Leben gerufen. Mit der Initiative verfolgen wir zwei Ziele: Zum einen wollen wir Jugendliche auf den Ausbildungsberuf mitsamt seinen Vorteilen aufmerksam machen. Dazu haben wir im August 2024 eine Imagekampagne gestartet, die über Social Media speziell junge Menschen im Alter von 14 bis 20 Jahren adressiert. Und zum anderen müssen wir dem Berufsstand verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass jede Kanzlei die Ausbildung selbst in die Hand nimmt. Mit der Kampagne „GEMEINSAM handeln!“ adressieren wir Kanzleien direkt und unterstützen sie bei der Gewinnung, Bindung und Förderung von Fachkräften.

Masanori Iizuka: Die Situation in Japan ist vergleichbar mit der in Deutschland. Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Soziales erreichte die Erwerbsbevölkerung in Japan 1998 mit 67,93 Millionen ihren Höchststand. Seitdem sind die Zahlen rückläufig – für 2035 wird ein Mangel von 3,84 Millionen Arbeitskräften prognostiziert. Im Vergleich zu Deutschland mag diese Zahl gering erscheinen. Hierfür gibt es drei Gründe: Erstens wollen viele ältere Menschen in Japan auch nach dem 60. Lebensjahr weiterarbeiten. Vielleicht ist dies auf eine andere Einstellung zur Arbeit zurückzuführen. Das Rentenalter in Japan liegt derzeit bei 60 Jahren, wird aber dieses Jahr auf 65 Jahre angehoben. Darüber hinaus sollen Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung bis zum Alter von 70 Jahren ermöglichen. Einige Unternehmen schaffen die Altersgrenze vollständig ab. Zweitens sind bei der Berufstätigkeit von Frauen in Japan bisher kaum Zunahmen zu verzeichnen, weshalb der Staat diverse Initiativen ergriffen hat, um einen gesellschaftlichen Wandel zu fördern, in der Frauen weiter- oder überhaupt arbeiten können. Der dritte Punkt hängt mit der Aufnahme ausländischer Arbeitnehmer zusammen; derzeit sind in Japan 1,82 Millionen tätig. Es ist zu erwarten, dass künftig mehr Arbeitskräfte aus asiatischen Ländern mit wachsenden Bevölkerungszahlen aufgenommen werden. Auch Steuerberatungskanzleien haben zunehmend Probleme, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Aus diesem Grund tut die TKC National Federation – Kundin der TKC – viel dafür, die Vorstellung zu ändern, was es heißt, in einer Steuerberatungskanzlei zu arbeiten. Nicht die Bürotätigkeiten stehen im Fokus, sondern die erfüllende Arbeit mit angemessener Entlohnung. Initiativen unterstützen Kanzleien und ihre Mitarbeiter dabei, anstelle der Auftragsbuchhaltung beispielsweise Managementberatung durchzuführen.

Künstliche Intelligenz erfährt in Japan eine große soziale Akzeptanz. Sehen Sie in dieser Schlüsseltechnologie eine Antwort auf die Fachkräftefrage?

Masanori Iizuka: KI ist weniger eine Lösung für den Fachkräftemangel, sondern verändert vielmehr die Arbeitsweise selbst. Mithilfe von KI können Fachkräfte ihre Arbeitsproduktivität steigern und ein Arbeitsvolumen bewältigen, das zuvor nicht zu bewältigen gewesen wäre. Dies hat darüber hinaus den positiven Effekt, dass ein Kompetenztransfer auf junge Mitarbeiter möglich wird, die noch ausgebildet werden müssen. Wenn es gelingt, die Pro-Kopf-Produktivität mithilfe von KI und den neuesten Technologien zu steigern, wird auch der Berufsstand davon profitieren. Derzeit erlebt die Steuerberatung in Japan einen Automatisierungsboom von Tätigkeiten und der Datenverknüpfung durch robotergesteuerte Prozessautomatisierung. TKC unterstützt Kanzleien auch dabei aktiv.

Deutschland ist hier noch nicht ganz so weit wie Japan. Roboter in der Arbeitswelt gelten häufig als Jobkiller. Warum ist das Ihrer Meinung nach so und wie kann Deutschland von Japan lernen?

Prof. Dr. Robert Mayr: Ich sehe Roboter nicht als Jobkiller. KI wird immer nur ein Werkzeug bleiben, ein ziemlich effizientes und effektives zwar, aber letztlich wird es den Menschen immer nur unterstützen. Sorgen, dass Roboter die menschliche Arbeitskraft überflüssig machen können, teile ich nicht. Mehr Chancen als Risiken zu sehen, das kann Deutschland definitiv von Japan lernen. Diese Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien, die Japanerinnen und Japaner auszeichnet, die fehlt uns häufig noch. Hier würde ich mir ein anderes, neuen Technologien zugewandteres Mindset wünschen.

Europa hat sich auf den AI Act verständigt. Gibt es auch ähnliche Regelungen in Japan und halten Sie solche Regelungen für sinnvoll?

Masanori Iizuka: Ich bin nicht der Meinung, dass der Staat neue Technologien regulieren sollte. Häufig führen übermäßige Compliance-Anforderungen zu Stagnation. Das bedeutet nichts anderes als Rückschritt. Wenn wir uns hinter Mauern aus Bestimmungen verschanzen, während sich die Welt rasant weiterentwickelt, kann es passieren, dass wir uns auf hinter dem Rest der Welt zurückfallen. Daher bin ich froh, dass es in Japan keine gesetzlichen Bestimmungen gibt, die KI umfassend regulieren. Natürlich gibt es einige Richtlinien zum Umgang mit personenbezogenen Daten und Urheberrechten, diese sind jedoch rechtlich nicht bindend. Das mag aus deutscher Perspektive unglaublich erscheinen. Die Situation in Japan ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass wir neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen sind, und dass im Vergleich zur englischen Sprache ein erheblicher Mangel an verfügbaren japanischen Trainingsdaten für den Aufbau eines Large Language Models besteht und die Regierung daher ausländische Fachkräfte mit KI-Expertise für Japan gewinnen und führende KI-Unternehmen dazu bewegen will, Forschungsinstitute in Japan zu gründen.

Und ist der AI Act aus deutscher Perspektive eher förderlich oder ein Hindernis?

Prof. Dr. Robert Mayr: Dass künstliche Intelligenz bei all den Potenzialen, welche die Technologie mit sich bringt, auch Risiken birgt, liegt auf der Hand. Von vielen Seiten wurde und wird daher eine Regulierung der KI gefordert. Mit dem AI Act brachte die Europäische Union relativ schnell ein Gesetz auf den Weg. Doch in seiner jetzigen Form stellt der AI Act in vielen Aspekten eine Regulierung on top dar. Das ist unnötig, denn anderswo Reguliertes muss nicht nochmal zusätzlich reguliert werden – KI fällt auch unter bestehendes Haftungs-, Datenschutz- und Datenrecht. KI ist kein Endprodukt, sondern ein Werkzeug. Wenn auch ein sehr potentes. Und in der Tat kann und könnte man einige, wenige Aspekte regulieren, zum Beispiel Transparenz und Fairness. Aber nicht so, dass Unternehmen in Compliance-Dokumentationen ersticken und es sich dreimal überlegen, ob und falls ja, wie sie KI rechtssicher einsetzen können. Denn währenddessen haben unsere globalen Wettbewerber mit KI längst neue Produkte auf den Markt gebracht oder ihre Effizienz gesteigert.

Die E-Rechnungspflicht in Europa ist ein Gamechanger für die Digitalisierung in Deutschland und verändert die Prozesse für die Distribution elektronischer Geschäfts- und Rechnungsdaten. Japan hat 2021 die Peppol Authority eingerichtet und ist nun dabei, die E-Rechnung auf Grundlage des Peppol-Standards einzuführen. Besteht in Japan eine Pflicht, elektronische Rechnungen zu erstellen oder zu empfangen oder ist Vergleichbares geplant?

Masanori Iizuka: Die Agentur für Digitales hat in Japan zwar den Einsatz von Peppol beschlossen, jedoch gibt es keine Verpflichtung zur Erstellung, zum Empfang oder zur Meldung elektronischer Rechnungen. Man erhofft sich vor allem eine Steigerung der Produktivität, indem etwa Angaben aus den elektronischen Rechnungen automatisch erfasst und eingebucht werden und die Daten automatisch bis zu den Zahlungssystemen verknüpft werden können. Ich denke, dass der Rückgang der Erwerbsbevölkerung in allen Branchen den Bedarf geweckt hat, Tätigkeiten zu reduzieren und sich auf solche mit hoher Wertschöpfung zu konzentrieren. Gleichzeitig ist das Finanzministerium von dem Diskussionspapier des OECD-Forums für Steuerverwaltung (FTA) „Steuerverwaltung 3.0“ betroffen. Daher ist anzunehmen, dass auch in Japan ab dem nächsten Jahr Diskussionen über eine verpflichtende Nutzung elektronischer Rechnungen und des damit einhergehenden Reportings geführt werden.

Wie tauschen sich TKC und DATEV zu diesen Entwicklungen aus? Was lernen Sie voneinander?

Prof. Dr. Robert Mayr: Wir stehen in regem Austausch, wobei das Herzstück unser Technical Meeting ist, das einmal im Jahr stattfindet, abwechselnd in Japan und Deutschland. Bei den Technical Meetings kommen die Expertinnen und Experten beider Unternehmen zusammen, um sich jeweils gegenseitig vorzustellen, an welchen technischen Entwicklungen sie gerade arbeiten. Häufig sind es auch gesetzliche Vorgaben aus der Politik, die es zu berücksichtigen gilt, wie eben bei der E-Rechnung. Aber auch abseits des jährlichen Treffens stehen die Arbeitsgruppen im Austausch, zum Beispiel bei den Themen künstliche Intelligenz und Open Source. Über den eigenen Tellerrand zu blicken, eine neue Perspektive einzunehmen, indem man sich anschaut, wie andere Länder ähnliche Herausforderungen angehen, das ist sehr bereichernd und hilft bei der eigenen Lösungsfindung.

Masanori Iizuka: Auch für uns sind Diskussionen in Präsenz-Meetings mit dem Top-Management und den technischen Experten der DATEV überaus spannend. Neben den Punkten, die Robert bereits angesprochen hat, interessieren wir uns auch sehr für das deutsche Steuerberaterwesen, die Praxis der Steuerberater, die Beziehungen zu Banken und Maßnahmen zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen. Daher begleiten uns bei unseren Besuchen in Deutschland auch immer einige Mitglieder der TKC National Federation, so dass wir uns nicht nur über Technologien, sondern auch über die Praxis unserer Kunden austauschen können. Japan ist ein Inselstaat und da wir auch eine eigene Sprache haben, gibt es bei der Kommunikation mit dem Rest der Welt häufig sprachliche Barrieren. Aus diesem Grund empfinden wir die 53 Jahre andauernde Beziehung zur DATEV als einen wertvollen Schatz.

Was beeindruckt Sie am jeweils anderen Land, an der jeweiligen Weise, Dinge anzugehen?

Prof. Dr. Robert Mayr: Die japanische Kultur fasziniert mich schon sehr. Die Freundlichkeit der Menschen ist beeindruckend, die Gastfreundschaft unübertroffen. So viel Höflichkeit und Zuvorkommenheit findet man vermutlich in keinem anderen Land der Welt. Und mit welcher Effizienz Prozesse gestaltet werden und wie entschlossen man in der Umsetzung ist, das finde ich toll. Davon können wir uns in Deutschland ruhig ein Scheibchen abschneiden.

Masanori Iizuka: Das entspricht ganz genau unseren Eindrücken von Deutschland, Robert. Mein aufrichtiger Respekt gilt den Steuerberatern in Deutschland, die sich getreu ihrer Berufsethik und mit hoher Integrität ihrer Arbeit widmen und dadurch ein hohes Ansehen in der Gesellschaft erlangt haben, ebenso wie DATEV, die mit ihren IT-Systemen unterstützt. In einer Welt voller Streitigkeiten und Konflikte finde ich es wirklich wunderbar, dass ein deutsches und ein japanisches IT-Unternehmen, die beide dem steuerberatenden Berufsstand dienen, eine so enge Beziehung aufbauen konnten. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese Beziehung auch in Zukunft weiterführen und weiterentwickeln könnten.