Heute Morgen haben Sie vielleicht Geld bei der Volksbank abgehoben. Jetzt arbeiten Sie in der Kanzlei mit DATEV-Software. Und auf dem Weg nach Hause fahren Sie noch schnell beim örtlichen Edeka oder Rewe vorbei. Drei völlig verschiedene Tätigkeiten – die allerdings eines gemeinsam haben: Bei jeder waren Sie mit einer Genossenschaft in Kontakt.
Mehr als 7000 Genossenschaften mit 23,5 Millionen Mitgliedern gibt es in Deutschland, zusammen beschäftigen sie rund eine Million Mitarbeiter. Seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert spielen sie eine wichtige wirtschaftliche Rolle, die jedoch oft unterschätzt wird, weil viele gar nicht wissen, hinter welchen bekannten Marken Genossenschaften stehen. So wird die Hälfte der landwirtschaftlichen Warenströme über genossenschaftliche Unternehmen abgewickelt, Molkereigenossenschaften verarbeiten 60 Prozent der jährlichen Milchmenge, Wohnungsbaugenossenschaften verwalten etwa 2,2 Millionen Wohnungen in Deutschland.
Branchenübergreifend präsent und vertrauenswürdig
Es gibt sie in nahezu allen Branchen, in der Finanzwirtschaft, im Handel und natürlich – siehe DATEV – in der IT. Das zugrundeliegende Prinzip ist einfach: Dadurch, dass sich viele kleinere Unternehmen zusammenschließen, sind sie stärker – und können im Wettbewerb mit Konzernen mithalten. Viele Genossenschaften entstanden in ihrer jeweiligen Zeit, um Herausforderungen zu begegnen, denen ein einzelner Unternehmer nicht gewachsen war. So führte die Landwirtschaftskrise um 1880 zur Gründung zahlreicher Agrargenossenschaften, die Energiewende ließ in den vergangenen zwei Jahrzehnten Tausende von Energiegenossenschaften entstehen. DATEV wurde vor fast 60 Jahren gegründet, weil ein Steuerberater allein sich keinen teuren Großrechner hätte leisten können. „Genauso wenig könnte eine Kanzlei heute die rasant fortschreitende Digitalisierung auf eigene Faust stemmen“, sagt DATEV-CEO Prof. Dr. Robert Mayr. „Technologischer Wandel braucht – wie jede große Transformation – außerdem mehr als monetäre Investitionen: Er braucht Vertrauen, Austausch und gemeinsame Ziele. Genau dafür ist das Genossenschaftsmodell ideal.“
Besonders in schwierigen Zeiten gelten Genossenschaften als vertrauenswürdig, erklärt der Historiker Reinhard Heydenreuter. Das liege vor allem daran, dass die handelnden Akteure vor Ort seien. „Das schafft Verständnis und unterscheidet sie von anderen Institutionen, die etwa ihren Sitz in der Karibik haben, um Steuern zu sparen“, sagte er im Interview mit dem bayerischen Genossenschaftsblatt Profil. In Krisen seien Genossenschaften für die Leute in ihrer Region da und stellten deren Versorgung sicher – sei es mit Krediten, Lebensmitteln oder anderen Produkten. „Das zeigt: Es ist sinnvoll, auf langfristige Beziehungen zu setzen, statt in der Hoffnung auf ‚Schnäppchen‘ Wettbewerber gegeneinander auszuspielen.“
Stabil auch in der Krise
Tatsächlich haben sich Genossenschaften in der Vergangenheit als vergleichsweise krisenfest erwiesen. Dafür spricht auch ihre sehr niedrige Insolvenzquote von durchschnittlich 0,5 Prozent – bei GmbHs sind es etwa 1,5 bis 2,0 Prozent. Während große, börsennotierte Banken zum Beispiel in der Finanzkrise von 2008 in Schieflage gerieten, blieben viele Genossenschaftsbanken stabil. Sie hatten – von Ausnahmen abgesehen – kaum spekulative Derivategeschäfte gemacht, sondern sich auf ihr lokales Kreditgeschäft konzentriert. Die bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken etwa konnten ihre Kreditvergabe sogar ausweiten und neue Kunden gewinnen. Ganz ohne Staatshilfe. So waren sie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine wichtige Stütze für den Mittelstand.
Genossenschaften vereinen wirtschaftliche Effizienz und gesellschaftliche Verantwortung. Deswegen sehen Experten wie Prof. Dr. Thorsten Wiesel, Direktor des Instituts für Genossenschaftswesen Münster, sie als eine wichtige Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. Dass die Vereinten Nationen 2025 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften ausgerufen haben, zeigt: Das Modell ist aktueller denn je.
Demokratisch, solidarisch, nachhaltig
Warum Genossenschaften so stabil und krisenfest sind – und besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten resilienter als andere Unternehmensformen.
Mitgliederorientierung: Genossenschaften werden von ihren Mitgliedern getragen. Alle wirtschaftlichen Entscheidungen dienen deren langfristigem Nutzen, nicht kurzfristigen Renditezielen – eine gute Voraussetzung für solide Finanzen.
Demokratische Mitbestimmung: Jedes Genossenschaftsmitglied hat ein Mitsprache- und Stimmrecht, es gibt keine beherrschenden Gesellschafter. Das sorgt für Transparenz, Fairness und Vertrauen, insbesondere in Krisenzeiten.
Regionale Verankerung: Durch die Nähe zu ihren Mitgliedern haben Genossenschaften ein hohes Verständnis lokaler Märkte und können sich schnell an Veränderungen anpassen. Dies stärkt die Resilienz des Unternehmens.
Solidarische Finanzierung: Das Eigenkapital von Genossenschaften besteht in der Regel aus Mitgliedsbeiträgen sowie selbst erwirtschaftetem Vermögen. Der Einfluss risikoorientierter (Finanz-) Investoren ist ausgeschlossen.
Langfristige Beziehungen: Genossenschaften bestehen oft über Generationen hinweg, was zu stabilen Kunden- und Lieferantenbeziehungen führt. Dies trägt zur Stabilität und Verlässlichkeit bei.
Unabhängigkeit vom Kapitalmarkt: Anders als börsennotierte Unternehmen unterliegen Genossenschaften nicht den Gesetzen des Kapitalmarkts. Es gibt daher keine Schwankungen des Unternehmenswerts aufgrund von Aktienkursveränderungen. Auch können Genossenschaften nicht von anderen Firmen übernommen werden.