Wir erwischen Herrn Prof. Schramm am Telefon nach einem langen Ski-Tag bei strahlendem Sonnenschein. Der Sport hat es dem 65-Jährigen angetan. Er war früher sogar Ski-Lehrer. Heute sei er aber nur noch Genussfahrer. Beim Thema Steuern nimmt er aber sofort wieder Tempo auf.
DATEV magazin: Herr Professor Schramm, die Branche sucht händeringend Steuerfachangestellte. Wie lassen sich mehr Menschen für diese Ausbildung begeistern?
Schramm: Steuerberaterinnen und -berater müssen sich stärker engagieren und mehr ausbilden. Der Fachkräftemangel führt zu einem Teufelskreis: Wir alle haben viel Arbeit auf dem Tisch. Deshalb haben die Kolleginnen und Kollegen wenig Zeit, sich um die Ausbildung zu kümmern. Das Problem wird vor sich hergeschoben und so verschlimmert. Das geht so weit, dass Kanzleien oft gar nicht mehr wegen der Mandanten übernommen werden, sondern wegen der Fachkräfte dort. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen.
Wie denn?
Ausbildung muss Priorität haben. Wir unterscheiden uns von anderen Branchen, denn wir können unseren Berufsnachwuchs nur selbst ausbilden. Wir haben in Stuttgart gerade eine Initiative gestartet, in der ausbildende Kolleginnen und Kollegen online über Ihre Erfahrungen berichten. Wir wollen dazu ermutigen, das Abenteuer Ausbildung zu wagen. Das Format geht nur eine Stunde – erstmal zum Reinschnuppern.
Was genau unterscheidet die Steuerberatung von anderen Branchen?
Das Wissen rund um die Steuer ist sehr spezifisch. Oft werden Steuerexperten von Konzernen oder Mittelständlern abgeworben, weil sie dort von großem Nutzen sind. Wir Steuerberater hingegen können dagegen nicht ohne weiteres Industrie- oder Einzelhandelskaufleute einsetzen, da sie unser Fachwissen nicht beherrschen. Allerdings werden zusehends Quereinsteiger durch Umschulungen für die Steuern fit gemacht.
Was ist das Faszinierende an dem Job?
Es gibt viele Vorurteile über das, was wir tun. Vor allem: Ihr versteckt euch hinter dicken Büchern in einer Gesetzeswelt, das hat ja nichts mit Menschen zu tun. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir sind fast wie Seelsorger, so viel erfahren wir von den Menschen. Es ist gut, dass wir eine strenge Verschwiegenheitspflicht haben.
Woher kommen diese Vorurteile von jungen Menschen?
Sie kennen den Beruf des Arztes, weil sie schon mal beim Arzt waren. Sie kennen Banken, weil sie ein Konto haben. Sie kennen den Einzelhandel, Konsumgüter oder die Automobilbranche, weil es in ihrem Leben solche Kontakte gab. Aber die Steuerberatung kennen sie gar nicht. Warum auch? Junge Menschen haben ja noch kaum etwas mit Steuern zu tun gehabt. Und dann stöhnt der Vater noch abends, wenn er über seiner Steuererklärung brütet.
Wer zahlt schon gerne Steuern?
Ich versuche, es meinen Studentinnen und Studenten immer mitzugeben: Eigentlich müsste es Staatsbeitrag heißen für all die sinnvollen Dinge, die mit Steuern bezahlt werden. Es ist ein Beitrag, den jeder leistet, damit unser Staatswesen funktioniert und kein bloßer Eingriff in die Privatsphäre. Man kann diskutieren, ob Steuern immer richtig eingesetzt werden, sicher. Am Ende aber sichern Steuern Freiheit und Demokratie.
Geht es dem Nachwuchs von morgen neben der Sinnfrage nicht auch immer mehr um die Work-Life-Balance?
Sicher, das merke ich auch an der dualen Hochschule. Ich diskutiere darüber viel mit den Studentinnen und Studenten und sage immer: Ich kann das alles verstehen, ihr müsst nur die Betonung richtig setzen – eher auf „Work“ als auf „Life“. Ohne Fleiß und Anstrengung geht es nicht, das gilt auch für das Steuerwesen. Du musst dich immer wieder auf neue Rahmenbedingungen einstellen, etwa weil sich die Gesetze ändern.
Was hat Sie denn zur Steuerberatung gezogen?
Das war vor allem die Chance auf die Freiberuflichkeit. Viele unserer Nachwuchskräfte sehen das heute noch genauso. Viele empfinden das aber mittlerweile auch als Risiko, Beruf und Privates nicht gut miteinander vereinbaren zu können. Das ist wohl auch dem Zeitgeist geschuldet.
Künstliche Intelligenz, Digitalisierung: Wie wandelt sich denn das Berufsbild?
Das wird uns von Einerlei und Routine entlasten, ganz klar. Das reine Buchen wird weniger werden. Das werden uns Programme vorschlagen, die automatisiert buchen. DATEV bietet uns das ja heute schon an, und wir sind erstaunt über die Ergebnisse. Beratung und der persönliche Kontakt zur Mandantschaft werden dagegen immer wichtiger – was den Beruf noch persönlicher und damit spannender macht.
Kommt nach dem Regierungswechsel nun die Steuererklärung auf dem Bierdeckel?
Die Klientel, die unser Geschäft maßgeblich ausmacht, sind ja weniger die privaten Mandanten, sondern die Unternehmen. Hier wird es wohl absehbar nicht auf dem Bierdeckel funktionieren. Es spielen so viele Faktoren rein, so viele unterschiedliche Steuerarten: Umsatzsteuer, Gewerbesteuer, Körperschaftssteuer, Einkommensteuer. Wir haben deutsche und internationale Rechnungslegung und Besteuerung. Das ist auch für künstliche Intelligenz nicht so schnell lösbar.
Haben Sie ein Beispiel?
Die E-Rechnung vereinfacht vieles bei der Umsatzsteuer. Unsere Branche war da sicher ein entscheidender Treiber, für die Buchführung ist das ein regelrechter Booster. Deswegen wird die Umsatzsteuervoranmeldung aber trotzdem nicht voll automatisiert ablaufen, weil auch noch andere nicht automatisierte Faktoren einfließen. Dafür sind die Sachverhalte zu komplex – auch für eine KI.
Und die private Steuererklärung?
Eine Anlage N für jemanden, der einer nicht-selbstständigen Arbeit nachgeht und eine Anlage R für Rentnereinkünfte müsste es nicht mehr geben. Der Staat sollte mit höheren Freibeträgen arbeiten, damit das Sammeln von Belegen aufhört. Was meinen Sie, wie viele Rentnerinnen und Rentner bei uns im Büro sind und aus allen Wolken fallen. Die gesetzliche Rente wird halt brutto ausbezahlt, im Gegensatz zum Lohn vorher. Das versteht kaum keiner. Die Deutsche Rentenversicherung kann dies in ihren Systemen derzeit aber wohl nicht abbilden.
Bilden Sie in Ihrer Kanzlei denn selbst aus?
Jedes Jahr. Aktuell haben wir zwei Azubis im ersten und zweiten Lehrjahr und eine duale Studentin im dritten Studienjahr. Für weiteren Nachwuchs ist gesorgt: Für dieses Jahr hat gerade ein 16-Jähriger bei uns unterschrieben. Im Bewerbungsverfahren hat er klar gemacht, dass er noch mit zwei weiteren Kanzleien im Gespräch sei. Frei nach dem Motto: Zeigt mal, was ihr könnt. Am Ende hat es offensichtlich gereicht. Das freut mich.
Prof. Dr. Uwe Schramm
Prof. Dr. Uwe Schramm ist Diplom-Kaufmann, Steuerberater und Partner der SE Steuerberatung mit Standorten in Fellbach und Ditzingen. Der passionierte Ski-Fahrer begann seinen Werdegang mit einem Studium der Betriebswirtschaftslehre, anschließend studierte er zusätzlich Wirtschaftspädagogik. 1990 legte er die Steuerberaterprüfung ab und promovierte. Seit 1994 leitet er den Studiengang Rechnungswesen, Steuern und Wirtschaftsrecht an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Zudem ist Schramm seit 2014 Präsident der Steuerberaterkammer Stuttgart.
Schramm war Mitglied einer Expertenkommission, die im Juli 2024 dem damaligen Finanzminister Christian Lindner ein Gutachten für eine vereinfachte Unternehmenssteuer übergeben hat.